Reise mit der SPIRIT OF BREMEN von
Georgetown nach Longboat Key.

Nach einer dreimonatigen Segelpause im Anschluß an die Atlantiküberquerung begann Ende März erst einmal wieder der Segelschulbetrieb an der Ostsee.

Organisatorisch war diesmal alles ein wenig chaotisch, weil ich bis zum letzten Tag vor meiner Abreise nach Laboe davon ausgegangen war, daß ich für die Yachtschule Elba im Mittelmeer segeln würde. Da wir uns aber finanziell zu guter Letzt doch nicht einig geworden waren, mußte ich mir kurzfristig etwas anderes suchen und so rief ich am Freitag Nachmittag u. a. bei meiner "Stammsegelschule" in Laboe an, wo man mich glücklicherweise noch so kurzfristig einplanen konnte. Abends gegen 22 Uhr rief Jan dann noch einmal ganz unerwartet an und fragte, ob ich nicht schon am folgenden Tag anreisen könnte. So kam es, daß ich schließlich eine Woche früher als geplant Hals über Kopf meine sieben Sachen packen mußte, um nach Laboe statt nach Elba zu fahren.

Die Ausbildungstörns in der Ostsee waren inzwischen ja schon mehr oder weniger zur Routine geworden. Obwohl die Reiseziele sich hierbei immer wiederholten, gab es doch durch die oft wechselnden Crews eine Menge Abwechslung. Neben den üblichen Ausbildungstörns fuhr ich in dieser Zeit auch drei Törns Rund Skagen.

Scheinbar zum Abschluß meiner Segelsaison '93 segelte ich dann noch einen 14-tägigen "Seebärentörn" nach Schottland und Norwegen für die Yachtschule Bremen. Diesen letzten Törn fuhr ich mit einer Swan 48, der Nefos, von deren Segeleigenschaften ich schlichtweg begeistert war. Obwohl wir bei einer recht kurzen, harten See und Windstärken um 7 Bft immer gegenan mußten, lief das Schiff im Schnitt seine 7 kn. Dabei war das Seegangsverhalten ähnlich angenehm, wie das der Spirit of Bremen (Nichtsdestotrotz hatte ich während der ersten Nacht dieses Törns nach langer Zeit zum ersten Mal wieder mit der Seekrankheit zu kämpfen).

Irgendwann engagierte Edgar mich dann aber doch noch relativ kurzfristig für die Überführung der Spirit of Bremen von Goergetown zur Westküste von Florida.

Ein Jahr nach unserer Ankunft in der "Neuen Welt" war es also wieder soweit, daß der Schoner in neue Reviere gesegelt werden sollte. Ich freute mich natürlich riesig, nun doch noch eine größere Reise machen zu können, nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als ob ich mich diesen Winter kaum weiter als ein paar km auf dem Landwege von meinem Schreibtisch entfernen würde.

Leider war die Planung erst ziemlich spät konkret geworden und so blieb nur ein knapper Zeitrahmen für die von Edgar geplante Reise nach Longboat Key in der Nähe von Tampa.

Am 18. November flog ich von Frankfurt nach Miami, wo Edgar für mich gleich im Flughafen-Hotel ein Zimmer für eine Nacht gebucht hatte, da ein Weiterflug am gleichen Tag nicht mehr möglich war. Durch die relativ kurzfristige Planung hatte ich diesmal weder mit der technischen noch mit der nautischen Vorbereitung der Reise viel zu tun gehabt. Lediglich ein paar kurze Kettenvorläufer und ein paar Meter Ankertrosse, hatte ich auf Edgars Bitte hin besorgt, gespleißt und in meinem Reisegepäck untergebracht. Nautische Literatur über das Fahrtgebiet sollte ich diesmal erst an Bord zu Gesicht bekommen.

Nach der Übernachtung in Miami traf ich am nächsten Tag auf dem Flughafen meine Crew, bestehend aus Edgar, seinem Freund Wolfgang Taucke und wiederum dessen Freund Fritz Hühnen.

Zusammen flogen wir mit der mir schon vom Vorjahr bekannten "Gulfstream Airline" in einer kleinen zweimotorigen Maschine nach Great Exuma, wo die Spirit noch immer im Hurrican Hole auf Stocking Island liegen sollte. Sie war nur im Mai von Edgar während eines Urlaubstörns in den Exuma Cays bewegt worden und hatte ansonsten brav an Ihrem Ankergeschirr gehangen. Nach etwa zwei Stunden landeten wir auf dem "International Airport" von Great Exuma, der sich im Gegensatz zu Miami durch eine recht übersichtliche Größe auszeichnet. Von dort fuhren wir im Taxi zum Hafen von Georgetown und mit Gwendall Mc Gregor's Boot weiter zum Liegeplatz der Spirit auf Stocking Island. Gwendall Mc. Gregor ist sozusagen der Hafenmeister von Stocking Island, und er hatte sich in den vergangenen Monaten ein wenig um die Spirit gekümmert. Bevor wir endlich übersetzen konnten, mußten wir allerdings zusammen mit seinen beiden Söhnen noch ein ganzes Weilchen auf ihn warten. Edgar und ich hatten schon ein wenig Bedenken, daß wir das Schiff wegen der bald einbrechenden Dunkelheit nun doch nicht mehr am selben Tag in die Marina von Goergetown verholen könnten.

Schließlich kam Gwendall aber doch noch rechtzeitig und wir rasten in seinem mit 150PS "ausreichend" motorisierten Boot quer über Elizabeth Harbour nach Stocking Island.

Etwas schmutzig, mit ergrautem Teakdeck, aber immer noch voller Eleganz und bereit für ihre nächste größere Reise, lag die Spirit in dem nur durch eine schmale Einfahrt zugänglichen Hurrican Hole. Ihr Anblick weckte bei mir Erinnerungen an die schöne Zeit vor einem Jahr, als das Schiff nicht so still und verlassen dagelegen hatte. Auch Edgar selbst war ein halbes Jahr zuvor das letzte Mal hier gewesen. Wie die meisten erfolgreichen Geschäftsleute hat auch er zwar genügend Geld, aber zu wenig Zeit. Gleich nachdem wir unser Gepäck an Bord "geschmissen" hatten, machten wir uns daran, das Schiff noch vor der bald einsetzenden Dämmerung zu "Sam's Place" in Georgetown zu verholen. Die Maschine sprang an, als wenn sie eben noch gelaufen wäre. Die Hydraulik für Ankerwinde und Bugstrahlruder hatten wir mangels Öl zunächst nicht zur Verfügung, sodaß wir den Anker von Hand hieven mußten.

Beim Auslaufen saßen wir in der engen Ausfahrt gleich erst mal so fest, daß wir nur mit der freundlichen Hilfe von zwei Yachties, die uns mit dem Dinghi von der Sandbank wegdrehten, schnell wieder frei kamen. Auch auf dieser zweiten Reise mit der Spirit sollte es mir also nicht vergönnt sein, ohne peinlichen Zwischenfall am Anfang auszukommen. Wenigstens blieb dann beim Anlegen in der Marina der Bugkorb und auch sonst alles heil.

Am Abend gab es im "Two Turtles Inn" noch etwas zu Essen und ein paar Bier. Der folgende Tag war für die Ausrüstung des Schiffes und einige dringend notwendige Wartungsarbeiten vorgesehen. Die elektronischen Geräte mußten wieder an Bord gebracht werden. Die Maschine bekam neues Öl, die Diesel- und Wassertanks wurden gefüllt.

Zwischendurch machte ich mich mit der von Edgar bereits geplanten Route vertraut, die mir zunächst etwas suspekt vorkam, weil sie großenteils über recht flaches Wasser führen sollte. Teilweise sind die Gebiete nur bei Tag zu befahren. Schließlich überzeugte mich aber doch die Tatsache, daß man gegenüber der kürzesten "Tiefwasser-Alternative" gut 150 sm (davon ca. 70 sm gegen den Golfstrom) spart.

Im Laufe des tages stellten wir fest, daß der Sicherungsbolzen für den Schwenkkiel sich nicht bewegen ließ, sodaß wir den Kiel nicht ausfahren konnten. Nach einigen vergeblichen Versuchen, die komplizierte Hydraulik zu überlisten, sprach Edgar in seiner Verärgerung schon davon, das Schiff zu verkaufen. Schließlich gelang es ihm mit List und Tücke aber doch, den Sicherungsbolzen durch leichtes Anheben des Kiels so zu entlasten, daß die Hydraulik ihn herausziehen konnte.

Nach getaner Arbeit hatte Edgar uns für den Abend zusammen mit einigen seiner auf den Bahamas neu gewonnenen Freunde zum Essen im "Coconut Grove" eingeladen. Nebenbei bemerkt ist es für mich immmer wieder erstaunlich, wie schnell Edgar Leute kennenlernt. Er war ja nun auch nicht gerade lange hier gewesen, aber wenn man mit ihm durch den Ort ging, hatte man den Eindruck, daß er fast jeden in Georgetown kennt.

Während des sehr guten Essens gab es noch einen erwähnenswerten Zwischenfall mit einem verirrten Frosch(könig?). Dieser landete nach einem beherzten Sprung zunächst auf meinem Kopf, von wo ich ihn, zunächst unwissend mit wem ich es zu tun hatte, auf den vor mir stehenden Salatteller schleuderte. Um ihn zu veranlassen, von diesem zu verschwinden, tickte ich ihn mit dem Messer etwas an (böse Zungen behaupten, ich hättte ihn in hohem Bogen weggeschleudert), woraufhin er meiner Nachbarin Nancy ins Gesicht und von dort weiter an die Hauswand sprang, wo er noch eine ganze Weile in unserer Sichtweite sitzen blieb.

Am darauffolgenden Sonntag legten wir dann gegen 15 Uhr ab und motorten die 6 sm zur Westansteuerung von Elizabeth Harbour. Nachdem wir Conch Cay passiert hatten, setzten wir bei einem leichten Ostwind zum ersten Mal auf dieser Reise die Segel. Vor uns lagen zunächst ca. 90 sm tiefes Wasser im Exuma Sound. Geplant war, den darauf folgenden flachen Ship Channel nach Nassau bei Tagesanbruch zu erreichen, da man hier zum Umfahren der zahlreichen Korallenblöcke auf Tageslicht angewiesen ist. Um diesen Zeitplan halbwegs einzuhalten, waren wir wegen des sehr schwachen Windes bald nach Einbruch der Nacht gezwungen, die Maschine zu Hilfe zu nehmen. So motorten wir ca. 70 sm, um am nächsten Vormittag die Insel Ship Channel Cay zu erreichen.

Auf dieser Strecke mußten wir feststellen, daß wir doch gut daran getan hätten das Unterwasserschiff vor dem Auslaufen soweit möglich vom Bewuchs zu reinigen, da das Schiff einfach nicht richtig zum Laufen zu bringen war. Mehr als 5 kn waren nicht drin.

Von Ship Channel Cay aus lagen ca. 35 sm bis zur Ansteuerung von Nassu vor uns. Die durchschnittliche Wassertiefe auf dieser Route beträgt etwa 4-5 m und verringert sich auf dem "Middle Ground" auf etwa 3 m. Auf diesem Flach gibt es dann auch zahlreiche Korallenblöcke, mit teilweise weniger als 30 cm Wassertiefe, die man nach Sicht umfahren muß, da sie wegen der großen Anzahl nicht im einzelnen in der Karte verzeichnet sind.

Mit dem Einlaufen in diese flachen Gewässer schwenkten wir den Kiel hoch (was uns bei gleicher Drehzahl fast einen kn schneller machte) und ich befestigte einige provisorische Wantensprossen zwischen den Unterwanten des Großmastes, um einen besseren Überblick über die vor uns liegenden Flachgebiete zu erhalten. Dort stand ich dann in etwa 5 m Höhe über dem Wasser und hielt Ausschau nach den gefürchteten dunklen Flecken im Wasser, vor deren Überfahren dringend gewarnt wird.

Gegen Abend lag die Ansteuerung von Nassau vor uns und wir legten für die Nacht in der sehr noblen "Hurrican Hole Marina" auf Paradise Island an, um am nächsten Morgen die Ausklarierungsformalitäten aus den Bahamas zu erledigen. Schließlich mußte das Schiff die Bahamas aus zollrechtlichen Gründen nach nunmehr einem Jahr ganz offiziell verlassen, da sonst evtl. eine Einfuhrsteuer auf den Schiffswert fällig geworden wäre.

Auf dieser Strecke war nun aus den 4 Leuten an Bord schon eine Crew geworden, die wie mir schien, auch den Rest der Zeit gut harmonieren würde. Ich hatte den Wachtörn von 0-6 bzw. 12-18 Uhr zusammen mit Fritz übernommen, während Edgar und Wolfgang die beiden anderen Wachen übernahmen. Vorläufig war es aber ohnehin nur eine Nacht gewesen, die wir in diesem Wachsystem gesegelt waren. Bei der Passage durch den Ship Channel waren wir dann alle wach gewesen. Unser "Bordarzt" Fritz stellte sich als derjenige heraus, der den meisten Spaß am Kochen hatte und war somit für die Rolle des Smuts prädestiniert. An diesem Tag hatte es noch sehr wohlschmeckend zubereitetes Frischfleisch gegeben, was in den folgenden Tagen nicht mehr möglich sein sollte, da das komplizierte Kühlsystem offensichtlich nur noch mit Landanschluß funktionierte.

Gleich nach dem Ausklarieren ging es am nächsten Tag weiter Richtung Chub Cay, wo wir vor der Überquerung der 4-5 m flachen Grand Bahama Bank noch eine Nacht ankern wollten. Auch an diesem Tag verwöhnte uns der Wind nicht gerade, und so mußten wir auch hier bis auf ein paar Meilen am Abend fast die ganze Strecke (ca. 50 sm) motoren. Am Ankerplatz war dann große Badestunde angesagt und wir verbanden bis zum Einbruch der Dunkelheit noch das Angenehme mit dem Nützlichen, indem wir das Unterwasserschiff schrubbten. Der Blick durch die Taucherbrille offenbarte erstmals das Ausmaß des dicken Bewuchses, und es wunderte uns nicht mehr, daß wir bis hier so langsam gewesen waren. Fritz , der nicht dazu zu überreden war, sich ins Wasser zu stürzen, bereitete in der Zwischenzeit unser abendliches Mahl vor.

Eigentlich wollte ich am Abend einmal den neuen Außenborder ausprobieren und an Land gehen, zumal wir das Dinghi zum Ausbringen eines Zweitankers ohnehin schon zu Wasser gebracht hatten. Als jedoch die Dunkelheit unserem Reinigungseifer ein Ende gesetzt hatte, konnten wir uns alle doch nicht mehr aufraffen, den konservierten Außenborder flott zu machen oder zu paddeln. So gab es an diesem Abend also kein kühles Bier mehr, dafür aber ein vorzügliches Essen an Bord.

Am nächsten Morgen lichteten wir die Anker schon um 4 Uhr, um einen möglichst großen Teil der Grand Bahama Bank noch bei Tageslicht zu überqueren.

Nach 14 sm (wegen Flaute wieder unter Maschine) erreichten wir schließlich das "Northwest Channel Lighthouse" am Eingang zur Grand Bahama Bank. Als "Lighthouse" wird hier ein umgestürzter Gittermast bezeichnet, der schon einige Jahre im Wasser liegt und vor sich hin rostet. 50 m nördlich davon liegt eine kleine Leuchttonne. Der Vermerk in der Karte "All Lights on the Bahama Bank are unreliable" hat also durchaus seine Berechtigung.

Gegen Abend erreichten wir die "South Riding Rocks" am Ausgang zur Florida Strait. Dieses Feuer war intakt, wenngleich es erst sehr spät eingeschaltet wurde.

Nachdem wir wieder tiefes Wasser erreicht hatten, stellte sich heraus, daß der Kiel sich nicht ausfahren ließ, weil der entsprechende Begrenzungsschalter dem System aus irgendeinem Grund vortäuschte, daß der Kiel bereits ausgefahren war, sodaß die Hydraulik auf Knopfdruck keinen Mucks von sich gab.

Edgar studierte fieberhaft die Schaltpläne, um in der Dunkelheit einen Weg zu finden, den Kiel doch noch herunter zu schwenken. Er war der Verzweiflung nahe, ob dieses neuerlichen technischen Fehlers, und auch mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, womöglich mindestens 100 sm über offenes Wasser ohne ausgefahrenen Kiel zurücklegen zu müssen. Da ich mir über die Stabilität des Schiffes bei eingefahrenem Kiel überhaupt nicht klar war, erwog ich trotz des (noch) ruhigen Wetters sogar, die Nacht vor Anker bei South Riding Rocks zu verbringen, um die Reparatur am nächsten Morgen zu versuchen.

Schließlich gelang Edgar aber (zumindest scheinbar) das Unmögliche. Jedenfalls tat die Hydraulik irgend etwas und nach einem Blick in das Schauglas an Deck waren Edgar und ich übereinstimmend der Meinung, daß der Kiel wohl unten sei. Insbesondere ich bildete mir ein, das sich die leichten Rollbewegungen des Schiffes während der Tätigkeit der Hydraulik zum besseren geändert hatten.

In dieser Nacht konnten wir endlich wieder segeln und brachten es während der 18-24 Uhr-Wache von Edgar und Wolfgang zeitweise sogar auf über 6 kn Fahrt. Gegen Morgen schlief der Wind jedoch wieder ein, und bald nach dem Wachwechsel um 6 Uhr morgens sahen Edgar und Wolfgang sich wieder gezwungen, die Eisengenua zu benutzen.

Als ich aus tiefem Schlaf wieder erwachte, teilte Edgar mir als Erstes mit, daß wir die ganze Nacht doch ohne Kiel hoch am Wind gesegelt waren. Daher also die starke Verrsetzung nach Süden! Die Hydraulik hatte in der Nacht nur gegen den Sicherungsbolzen gedrückt. Nun aber stand das Problem wirklich vor seiner Lösung und bald war der Kiel tatsächlich unten.

Inzwischen hatte uns der Golfstrom voll erfaßt und bremste uns mit zeitweise bis zu 3 kn! Da wir das Ganze nun auch noch unter Maschine mit maximal 5,5 kn durch's Wasser machen mußten, war jeder Blick auf die Karte ziemlich enttäuschend. Zum ersten Mal auf dieser Reise kam mir der Gedanke, daß ich meinen Rückflug evtl. um einen Tag verschieben mußte.

Auf den letzten 50 sm ließ der Strom dann nach, bzw. lief auf dem letzten Stück dann dicht unter Land sogar in der Gegenrichtung. So erreichten wir nach endlosen 1½ Tagen mit Key West doch noch die südlichste Stadt der USA. Wir kamen dort am Freitag morgen an und hatten für die 160 sm bis zu meinem geplanten Abflug am Montag den 29. 11. nur noch zwei Tage Zeit. Trotzdem genehmigten wir uns noch den Luxus, den Tag in Key West zu verbringen, was sich sicherlich gelohnt hat. Nachdem Edgar noch die vergessenen Detailkarten von Floridas Westküste besorgt und wir etwas Reinschiff gemacht hatten, nahmen wir nach dem Mittagessen (der Dolphinfish im Restaurant weckte Erinnerungen an unseren Angelerfolg auf dem Atlantik ein Jahr zuvor) an einer sehr interessanten Rundfahrt mit den hier allerorts auf den Straßen verkehrenden "Touristenzügen" teil. Zu bewundern war der Fahrer dieses knapp 50 m langen Zuges, der sein Gefährt locker durch ganz normale Wohnstraßen jonglierte, während er in einem nicht abreißenden Redestrom Informationen zur Stadt gab. Besonders interessant fand ich die Tatsache, daß der Wohlstand der Stadt zum großen Teil auf das vor nicht allzu langer Zeit aufgegebene Abwrackgewerbe zurückgeht, welches sich damit beschäftigte, Nutzen aus den zahlreichen Strandungen von Schiffen auf dem gefährlichen Außenriff zu ziehen. Viele Häuser in Key West haben heute noch die kleinen Aussichtstürmchen, von denen aus die Bergungskapitäne den Schiffsverkehr vor der Insel beobachteten. Wer zuerst bei einem gestrandeten Havaristen ankam und die Besatzung rettete, durfte danach alles, was zu bergen war, sein Eigentum nennen.

Im Anschluß an die Rundfahrt nahmen wir uns noch die Zeit, ein Bier im berühmten "Sloppies Joe" (ehemals Ernest Hemmingways Stammkneipe) zu trinken. Dort hätte ich gut noch die ganze Nacht verbringen können, aber die Zeit drängte, und so legten wir gegen 19 Uhr wieder ab.

Wieder hatten wir uns vergeblich Hoffnung auf Wind gemacht. Der Golf von Mexiko begrüßte uns mit absoluter Flaute.

In der Marina hatte man uns eigentlich abgeraten, den "Northwest Channel" bei Dunkelheit zu befahren. Aber schließlich hatten wir Radar und neu gekaufte Karten an Bord. Trotzdem kamen wir einmal bei der Durchsteuerung zwischen den beiden überfluteten Molen an der nördlichen Ausfahrt vemutlich wegen des starken Stroms etwas vom Fahrwasser ab. Mit einem Vorhaltewinkel von gut 50 Grad brachte ich das Schiff jedoch schnell wieder ins Fahrwasser. Etwas irritierend war auch, daß zwei auf der Karte als unbeleuchtet eingezeichnete Tonnen inzwischen befeuert waren. Aber nach einigen Minuten Nervenkitzel hatten wir die Passage glücklich hinter uns gebracht.

Edgar hatte in Key West keinen Diesel mehr bunkern wollen und mich gebeten, falls es möglich wäre, erst am Zielort Longboat Key zu bunkern, um dort gleich als guter Kunde eingeführt zu werden. Ich hatte unter der Annahme, daß wir ja auch endlich mal etwas Wind bekommen mußten, zugestimmt. Notfalls konnten wir ja auch irgendwo anders noch bunkern.

Nachdem wir dann die ganze Nacht bei völliger Windstille motort hatten, stand ich vor der Entscheidung, entweder 40 sm Umweg zu fahren um in Boca Grande Diesel zu bunkern oder auf der direkten Route zu bleiben und auf Wind zu hoffen.

Ich entschied mich für die letztere Altenative, und wir setzten alles, was wir an Segeln hatten, um das leise Lüftchen zu nutzen, das uns um die Nase strich. Wir hatten SSE Wind 0-1 und setzten den Blister daher auf unserem Raumschotskurs als Spinnaker. Zusätzlich zu den Standardsegeln wurde noch der Fisherman gesetzt und dann ging mit 2-3 kn "die Post ab". Inzwischen hatte ich mich auch entschlossen, meinen Rückflug um einen Tag zu verschieben und kam auf Edgars Angebot zurück, dieses für mich zu arrangieren.

Gegen Abend zog hohe Bewölkung auf, die für die Nacht mehr Wind verhieß. Der Wind fing auch langsam an, recht zu drehen. Mit der Anweisung, mich beim Aufzug dunklerer Bewölkung bzw. bei auffrischendem Wind sofort zu wecken, um die noch stehenden Leichtwindsegel zu bergen, zog ich mich in die Koje zurück.

Gegen 23 Uhr war es dann soweit. Der Wind hatte soweit zugenommen, daß wir bei großem Druck auf dem Ruder gut 7 kn liefen. Also hieß es runter mit den Klamotten, und gerade rechtzeitig hatten wir auf die Standardbesegelung umgestellt. Nun wehte es zu unserer Freude mit NNW 4-5 von vorne!

Im Lauf des Tages briste es zeitweise bis auf 6 Bft auf, und wir bemühten uns kreuzenderweise unserem Ziel näher zu kommen.

Am Sonntag morgen hatten wir uns schließlich zu einer Position vorgearbeitet, die noch 5 sm in Lee der Ansteuerung nach Sarasota lag. Hier zogen wir den Kiel (diesmal ohne Probleme) ein und motorten die restlichen 10 sm bis zur Marina. Dabei mußten wir noch eine Klappbrücke passieren, und ich bekam einen Eindruck von der Schönheit des Intracoastal Waterways, der sich hier in Florida zwischen Mangroveninseln hindurchschlängelt.

In der Longboat Key Marina legten wir dann als Erstes an der Treibstoffpier an und füllten die Dieseltanks. Danach verholten wir an den vorgesehenen Liegeplatz und klarten für den Rest des Tages das Schiff auf. Ca. 650 sm lagen hinter uns, insgesamt hatte ich bis hierher ca. 7000 sm mit der Spirit zurückgelegt. Alles in allem war mir die Spirit auf dieser Reise schon sehr ans Herz gewachsen, und ich hoffte, später noch weitere Reisen mit dem Schiff machen zu können.

Den Abend ließen wir in einem Restaurant ausklingen. Ich bestellte mir in Erinnerung an unseren "großen Fang" vor einem Jahr einen Dolphin Fisch, der ganz vorzüglich schmeckte. Anschließend wurde das eine oder andere Bier konsumiert, und wir kehrten zufrieden zur Spirit zurück, wo wir bald in unsere Kojen fielen.

Am nächsten Morgen machten wir uns dann mit einem Leihwagen auf den Weg zum Flughafen von Tampa. Da wir viel Zeit hatten, konnte Edgar uns noch einiges von der Umgebung zeigen.

Als wir Tampa dann erreicht hatten, hieß es wieder Abschied nehmen. Fritz und Wolfgang hatten noch zwei Tage Zeit und wollten nun auf ihrer Fahrt nach Miami mit dem Leihwagen noch ein wenig mehr von Florida kennenlernen.

Edgar mußte wieder zurück nach Houston, hatte jedoch vor, die Weihnachtstage zusammen mit seiner Frau auf der Spirit zu verbringen und ich flog, wieder einmal mit einer Spur Wehmut und einer Spur Freude auf zu Hause zurück in den kühlen Norden.

Auf jeden Fall sollte es irgendwann im nächsten Jahr mit dieser Crew weiter nach Houston gehen, wo Edgar dann all die Arbeiten an der Spirit durchführen wollte, die bisher aus Zeitmangel unterblieben waren.

 

Von Tampa/Florida nach Houston/Texas mit der Spirit of Bremen

Eigentlich gibt es auch über die verschiedenen Segelreisen in der Nordsee einiges zu berichten. Aber ich will mich hier auf die größeren Reisen in entfernten Revieren beschränken. Der Segelschulbetrieb mit den alle 14 Tage wechselnden Segelschüler(innen)-Crews ist eine andere Geschichte.

So überspringe ich hier die ganze Sommersaison 94 und setze diese Erzählung am Ende des Jahres fort. Anfang November war es wieder einmal soweit, daß Edgar seinen wunderschönen Schoner über eine weitere Strecke bewegen wollte, und er hatte mich wieder eingeladen, die Schiffsführung zu übernehmen.

Geplant war die Reise als Überführung nach Houston mit einem Umweg über Vera Cruz in Mexico, wo ein Crewwechsel stattfinden sollte. Am 6. November verließ ich mit einer Boeing 747 den kühlen Norden um etwa 10 Stunden später im heißen Tampa/Florida zu landen, wo ich Edgar wiedertraf. Wir fuhren am Abend gemeinsam zu einem "Holiday Inn" Hotel in Bradenton, wo wir die ersten Tage vor der Abreise übernachten sollten, da auf der Spirit, die noch hoch und trocken bei "Snead Island Boatwork" an Land stand, einige Arbeiten durchzuführen waren, die ein Übernachten dort doch etwas ungemütlich gemacht hätten. Wie immer hatte Edgar sich wieder viel vorgenommen. Unter anderem sollte der Autopilot und die Kühlanlage mit Hilfe von Fachfirmen noch auf Vordermann gebracht werden. Als wir am nächsten Tag zur Werft kamen, glänzte die Spirit mit einem neuen, inzwischen roten Unterwasseranstrich.

Noch an diesem Vormittag kam das Schiff dann per Travellift wieder ins Wasser, nachdem Edgar das Unterwasserschiff noch einmal mit kritischem Blick gemustert und für gut befunden hatte.

Die Tage bis zur Ankunft der restlichen Crew vergingen wie im Fluge, und als die Spirit wieder halbwegs seeklar war, stand am Mittwoch nachmittag auch schon das erste Crewmitglied , Wolfgang Hauck aus New York auf der Pier.

Nach getaner Arbeit gingen wir an diesem Abend zusammen essen, wobei ich Wolfgang schon ein wenig kennenlernte. Wolfgang ist bei der Hypo Bank in New York tätig und war noch ein ziemlicher Neuling in der Hochseesegelei, schien aber ganz begeistert von der bevorstehenden Reise zu sein. Er hatte einen kleinen Daysailer, mit dem er zu Hause in geschützten Gewässern häufig segelte.

Am nächsten Tag hatten wir noch Besuch von der "Elektronikergilde". Die B&G Navigationselektronik und der Autopilot von Robertson sollten in Ordnung gebracht werden.

Bei dem Versuch, das Problem mit dem Autopiloten selbst zu beheben, hatte Edgar zuvor eine herbe Enttäuschung erlebt. Er hatte von den Technikern bei Robertson die Empfehlung bekommen, die Hydraulik für kurze Zeit einmal gegen den mechanischen Anschlag der Ruderanlage arbeiten zu lassen, um evtl. im System befindliche Luft zu entfernen. Dazu mußte die elektronische Anschlagregulierung durch Überbrücken bestimmter Kontakte kurzzeitig überlistet werden.

Wie auch immer,-bei dem Versuch dies zu tun wurde die 480 US$ teure Steuerplatine in Sekundenbruchteilen zerstört.

Dafür klappte mit den Serviceleuten nun beides recht gut. Am Abend hatten wir eine funktionierende Windmeßanlage und endlich wieder einen zumindest im Moment funktionierenden Autopiloten. Edgar wünschte sich auch sehr, daß insbesondere der Autopilot uns das Wachleben diesmal etwas leichter machen würde, nachdem dieses teure Gerät bisher eigentlich noch nie richtig funktioniert hatte.

Am Donnerstag stand schließlich als eine der letzten Tätigkeiten vor dem Auslaufen die Verproviantierung auf dem Plan. Wolfgang und ich füllten im "Win Dixies" Supermarkt einen Einkaufswagen nach dem Anderen und fuhren schließlich mit einer vollen PKW-Ladung Proviant wieder zum Schiff. Ich hatte unser schon auf der Atlantiküberquerung bewährtes "Obst und Gemüsenetz" wieder ausgegraben und nun wurde dieses Netz wieder im Salon aufgehängt, um das Obst und teilweise auch das Gemüse aufzunehmen. Gegen Mittag traf auch Hillmar Zeissig, unser viertes Crewmitglied ein. Hillmar war von sehr kräftiger Statur und machte auf mich gleich zu Anfang einen sympathischen Eindruck.

Wir beschlossen am Abend noch einmal gemeinsam Essen zu gehen, wobei wir in dem sehr netten Restaurant "The Pier " landeten. Geplant war eigentlich, am Freitag nachmittag auszulaufen, jedoch war ich inzwischen selbst schon etwas skeptisch, ob wir das schaffen würden, weil doch noch einiges zu tun war. Insbesondere die umgebaute Kühlanlage sollte am Freitag noch den letzten Schliff erhalten, wobei keiner genau wußte, wie lange das wohl dauern mochte. Nachdem wir zunächst gegenüber der sehr freundlichen Bedienung an der Bar von "The Pier" große Töne gespuckt hatten, daß wir am nächsten Tag Richtung Vera Cruz in Mexico aufbrechen würden, erhielten wir von den Wetterfröschen im Fernsehen noch einmal die letzten Nachrichten über einen tropischen Sturm mit Namen "Gordon", von dessen Existenz wir schon kurz durch Elfi gehört hatten. Leider zog das Ding nun nach WNW in Richtung Halbinsel Yukatan. also genau dorthin, wo wir hinwollten. Wir waren uns alle einig, daß man hier wirklich kein unnötiges Risiko eingehen sollte. Obwohl es wahrscheinlich war, daß der Sturm seine Bahn bald nach N / NE ändern würde, hielten wir es alle nicht für ratsam auf seinen augenblicklichen Track zuzufahren. Also schmissen wir die ganze Planung um und entschlossen uns, nach Norden zu gehen, wo uns ein Hurrican um diese Jahreszeit wohl kaum noch erwischen würde. Die Reise sollte über New Orleans nun direkt nach Houston gehen. So würden wir auch laufend die Möglichkeit haben, im Notfall innerhalb eines Tages Landschutz aufzusuchen. Ich war insgeheim froh, daß Edgar nicht wegen der zollrechtlichen Probleme, die unsere Kursänderung für ihn aufwerfen konnte, anfing zu debattieren, ob wir denn nicht doch Richtung Mexico fahren sollten. Vielmehr war Edgar selbst der erste, der den Vorschlag machte, die Route zu ändern, was offensichtlich auch damit zu tun hatte, daß er die Auswirkungen eines Hurricans in Houston schon einmal selbst gesehen hatte.

Das Essen war sehr gut, und da wir uns alle bezüglich der neuen Route einig waren, wurde es noch ein sehr netter Abend, an dem ich die neue Crew schon etwas kennenlernte. Hillmar schien mir ein sehr lebensfroher Zeitgenosse zu sein, mit dem ich mich sicher gut verstehen würde. Im "richtigen Leben" war er Inhaber einer Consulting für Ölfirmen.

Auch Wolfgang war sehr nett. Bei ihm hatte ich nur gleich ein wenig Bedenken, ob er den Entbehrungen einer längeren Segelreise gewachsen sein würde. Bei all dem Glanz, den so schöne große Yachten wie die Spirit ausstrahlen, ist es einfach eine Tatsache, daß man auf sehr vieles verzichten muß, wenn man den Hafen erst einmal länger als für einen Tag verläßt. Das ist eben nicht jedermanns Sache. Als Hochseesegler war Wolfgang von uns allen der unerfahrenste, brachte aber eine gute Portion Vorfreude mit und den Willen, seglerisch dazuzulernen.

Da wir nun auch noch Seekarten für die Küste von Louisiana und den Ostteil der texanischen Küste besorgen mußten, war klar, daß sich die Abreise noch einmal um einen Tag verschieben würde, was Edgar übrigens schon vorher einmal auf seine vorsichtige Art vorgeschlagen hatte.

So arbeiteten wir am nächsten Tag noch fieberhaft, um die Spirit endgültig seeklar zu machen. Edgar unnternahm eine zeitraubende Autofahrt nach St. Petersburg, um unsere Seekarten zu holen. Nach geraumer Zeit kam er ohne Karten wieder an Bord. Natürlich war er nicht eben erfreut über diese Entwicklung, immerhin hatte man ihm vorher am Telefon erzählt, daß der entspr. Kartensatz zur Abholung bereit läge! Wie üblich merkte man ihm von seinem Ärger aber nicht sehr viel an. Die Aussage "Das war ja so enttäuschend", reichte aber für mich aus, um zu wissen, daß er sich innerlich schon ziemlich geärgert hatte.

Den Abend verbrachten wir noch einmal in "The Pier", wo uns Edgars neue Freundin an der Bar mit der Frage begrüßte, ob wir uns auf dem Weg nach Mexiko verfahren hätten.

Schließlich liefen wir am Samstag, den 12. November mit Ziel Panama City / Florida aus, um die Karten dort zu besorgen.

Bei strahlendem Sonnenschein und beinahe Flaute fuhren wir zunächst bis zum Ausgang der Tampa Bay unter Maschine, wo uns dann eine leichte Brise empfing. Also hieß es etwa ein Jahr nach meiner letzten Reise mit der Spirit wieder einmal "Heiß Großsegel!" etc. Die Brise nahm stetig zu, sodaß wir in der Nacht bei zeitweise bis zu 6 Bft mit rauschender Fahrt vorwärts kamen. Es war unerwartet kühl, sodaß sogar ich in diesen Breiten einmal das Ölzeug anzog. Wolfgang, mit dem ich die Wache von 0 bis 6 Uhr teilte war wegen Seekrankheit komplett ausgefallen und lag nur apathisch in der Plicht, wobei er von Zeit zu Zeit seinen jämmerlichen Zustand beklagte. Ich war froh, daß wir am Wind liefen, sodaß ich nicht einmal den Autopiloten benötigte, um das Ruder sich selbst überlassen zu können. In dieser Nacht suchte sich Spirit 5 Stunden lang alleine ihren Kurs, wobei ich nur Ausguck ging und das Logbuch führte. Trotzdem war ich rechtschaffen müde, als Edgar am nächsten Morgen den Kopf aus dem Niedergang steckte, um mich abzulösen.

Wolfgangs Zustand änderte sich auch während des Tages nur wenig, obwohl das Wetter langsam ruhiger wurde.

Nachdem ich Kaffee gekocht hatte, ging es mir selbst auch einige Zeit nicht mehr so gut (meine verschämte Umschreibung dafür, daß ich auch etwas seekrank geworden war) .

Hillmar war das genaue Gegenteil zu Wolfgang. Er genoß die Segelei und brach bei jeder etwas höheren Welle in richtige Begeisterungsstürme aus (nachdem er selbst vorher jedoch auch "geopfert hatte", wie man so schön sagt). Zitate wie "Da, jetzt kommt' ne gute" fielen am laufenden Band.

Am zweiten Tag hatte Wolfgang sich wieder halbwegs erholt und trug nun ein Pflaster gegen Seekrankheit hinter dem Ohr, das ihn jedoch offensichtlich sehr müde machte. Die meiste Zeit schlief er auf seinem Stammplatz in der Plicht. Nach unten traute er sich nur selten. Zu allem Überdruß hatte er anscheinend nun auch etwas Angst vor dem Segeln bei Nacht bekommen. Wolfgang sprach nicht mehr viel und schien nur darauf zu warten, daß der für ihn zum Alptraum gewordene Traum vorbeiging.

Bei wesentlich ruhigerem Wetter liefen wir in der folgenden Nacht in die Ansteuerung nach Tampa City. Während Edgar und Hillmar den wohlverdienten Schlaf in Ihrer Freiwache genossen, segelten Wolfgang und ich durch das streckenweise recht enge Fahrwasser nach Panama City. Ca. eine halbe Stunde vor dem Anlegen weckte ich die Freiwache. Kurz vor dem Hafen bargen wir die Segel und machten Festmacher und Fender klar.

Panama City ist wohl eine der langweiligsten Städte die ich kenne und eignet sich eigentlich wirklich nur für einen kurzen Zwischenstop, um Ausrüstung zu besorgen, was wir ja auch vorhatten.

Schon bald am nächsten Vormittag hatten wir denn auch die Karten zusammen, dazu noch eine Routenempfehlung des Yachtausrüsters, die sich als sehr wertvoll erweisen sollte. Wieder einmal hatte sich Edgars außergewöhnliche Kontaktfreudigkeit ausgezahlt. Der Verkäufer, der sich an der ganzen Küste und insbesondere in der Umgebung von New Orleans hervorragend auskannte, hatte seine Ortskenntnis bereitwillig an Edgar weitergegeben und uns eine sehr verwinkelte, wunderschöne Route durch den Mississippi Sound und den Lake Pontchartrain nach New Orleans empfohlen. Der Mann hatte uns auch gesagt, daß Wirbelstürme normalerweise um diese Jahreszeit nicht über Tampa hinaus nach Norden vorstoßen. Diese Aussage hatte uns alle ein wenig beruhigt, nachdem "Gordon" uns inzwischen eine Zeitlang mit Nordkurs bei 5 kn Speed gefolgt war.

Immerhin konnten wir am Nachmittag gemeinsam mit Wolfgang wieder in See stechen. Edgar und ich hatten schon fast erwartet, daß er nach seinem Martyrium hier in Panama City aussteigen würden. Bei ruhigem Wetter mit einer leichten Brise aus Nordost und strahlendem Sonnenschein liefen wir durch die enge Lücke zwischen zwei vorgelagerten Inseln wieder aus. Die schneeweißen Sandstrände, von denen wir beim Einlaufen ja nur Schatten gesehen hatten waren einfach wunderschön.

Die Überfahrt bis zum Mississippi Sound verlief ohne besondere Ereignisse und auch Wolfgang fühlte sich einigermaßen wohl. Lediglich etwas Heimweh machte ihm offensichtlich zu schaffen. Ganz im im Gegensatz zu Hillmar, der unsere Reise so richtig genoß und einige Tage später den Spruch brachte: "I'm not homesick, I'm just sick to come home".

Die Betonnung in der Ansteuerung nach Gulfport, war gegenüber unseren neuen Karten etwas geändert worden. Das ganze war jedoch so übersichtlich, daß dies (am Tage) keine Probleme verursachte.

Da ich die Gewässer zwischen den flachen Marshlands von Louisiana nur ungern bei Nacht befahren wollte, zumal wir ja bei der Einfahrt festgestellt hatten, daß die Fahrwasser sich hier schnell verändern können, entschloß ich mich, am Abend zu ankern. Als nettes Plätzchen war mir auf der Karte ein Ort im "Landschutz" von "Grassy Island" erschienen. Als wir uns dieser Position aber in der Dämmerung näherten, stellte sich heraus, daß Grassy Island in Wirklichkeit noch kleiner war, als es mir schon in der Karte erschienen war. Das ca. 0,5m hohe Grasfleckchen von etwa 100 x 100 m mitten im Wasser konnte wohl kaum irgendeinen zusätzlichen Schutz bieten. Jedoch war das nicht so schlimm, da das Wetter ruhig war und das ganze Wasser ringsum ohnehin schon eine relativ geschützte Fläche darstellte. So glitten wir an diesem romantischen Abend lautlos mit einem leisen Windhauch zu unserem Ankerplatz und ließen das Eisen schließlich auf 3m Wassertiefe fallen. Lediglich um den Anker einzugraben, startete ich noch einmal die Maschine und zog ein Stück zurück. Der Anker hielt sofort bombenfest.

Eigentlich wollte ich an diesem Abend unsere (vermeintlichen) Koteletts braten. Die Kühlanlage funktionierte aber inzwischen (für mich unerwarterterweise, denn das Ding hatte bisher noch nie getan, was es sollte) so gut, das das Fleisch hart gefroren war. Also gab es Kartoffeln mit Gemüse und gebratenem Kochschinken aus der Dose, was aber allen recht gut zu schmecken schien. Die Koteletts sollten sich sowieso als totaler Reinfall entpuppen, denn als ich sie zwei Tage später dann briet, stellte sich heraus, daß es sich in Wirklichkeit um Rippchen handelte, an denen außer Knochen so gut wie nichts dran war.

Das Kochen und Waschen war auf dieser Reise etwas schwierig, weil uns gleich zu Anfang die Frischwasserpumpe ausgefallen war, sodaß wir immer auf die Wasserreserven in den Kanistern angewiesen waren. Die Frischwassertanks im Bauch der Spirit blieben während der ganzen Reise so voll wie am Anfang.

Der Abend war einfach wunderschön und Wolfgang gestand, daß er diese Art des Segelns, mit abendlichem Aufenthalt in geschützem Gewässer doch der echten Seefahrt vorzieht.

Am nächsten Morgen machten wir uns gleich mit der Dämmerung auf den Weg, denn immerhin hatten wir noch etwa 40 sm vor uns, wobei auch einige Brücken zu passieren waren. Wir segelten mitten durch's Land und mußten nur dreimal zum Passieren von Brücken die Maschine starten. Die einzige feste Brücke war mit 65 Fuß für uns so knapp bemessen, daß wir sie mit der obersten Spitze der Loran Antenne ein wenig berührten. Ganz langsam schob ich die Spirit unter die Brücke, um notfalls immer noch stoppen zu können, obwohl die Höhe rein rechnerisch ausreichend war. Von unterwegs hatte Edgar per Funktelefon wieder einmal einen seiner vielen Freunde mobilisiert. Paul Miller, der Niederlassungsleiter von Edgars Firma in New Orleans war gebeten worden, uns einen Liegeplatz im Hafen des Southern Yachtclub zu besorgen und hatte sich dieser Aufgabe sofort mit großem Elan gewidmet. Das ging so weit, daß er schon Stunden vor unserem Einlaufen Funkkontakt über UKW mit uns aufnahm und beim Einlaufen dann zusammen mit seinem Sohn auf der Pier stand, um uns einzuweisen. Nach einer kurzen Fahrt durch einen labyrinthartigen Hafen nahm er schließlich unsere Leinen an, und wir hatten einen Platz gleich neben dem Duschgebäude und dem Parkplatz, wo er später ein Auto für uns hinterlassen wollte. Soviel Service erlebt man selten! Doch damit nicht genug: Die Bitte, doch eine Flasche Whisky für ein gemütliches Zusammensein mitzubringen, hatte er zum Anlaß genommen eine ganze Kiste mit Whisky, Rum, Cola, Saft etc. zusammen mit 5(!) großen Beuteln Eis mitzubringen.

Am Abend fuhren wir dann mit dem Auto in die Innenstadt von NewOrleans, wobei Hillmar uns mit einem relativ zügigen Fahrstil beförderte. Ich persönlich fand es gar nicht so schlimm, aber für Edgar war es wohl so etwas wie eine Höllenfahrt. Jedenfalls landeten wir schließlich in Edgars Lieblingspub, wo Hillmar (ganz der Geschäftsmann) sich kurzfristig mit einer Geschäftsfeundin verabredet hatte, um einige Probleme der deutschen Handelskammer in Texas zu besprechen. Edgar, Wolfgang und ich genossen einfach die Atmosphäre im Pub und auf der Straße, auf der mehrfach Stepptänzer und Jazz-Musikzüge vorbeizogen. Später gingen wir noch sehr schön essen und besuchten mit der Preservation Hall eine echte Kultstätte der Jazz Musik.

Da wir am nächsten Tag schon früh ablegen mußten, um die teilweise kanalisierte 60sm Strecke bis zur Küste noch bei Tageslicht zurücklegen zu können, konnten wir das Nachtleben zu meinem und Hillmars Bedauern nicht ausgiebiger erkunden und fuhren schon vor Mitternacht wieder an Bord.

Um 0730 Uhr am nächsten Morgen hieß es dann wieder Leinen los, und wir fuhren zunächst ein Stück auf dem riesigen Lake Pontchartrain nach Osten, um dann in den "Inner Harbour Navigation Canal" einzubiegen. Nachdem wir hier einige Klapp- und Drehbrücken passiert hatten, deren Brückenwärter über Funk immer nur Edgar, nicht aber mir antworteten ging es schließlich durch eine Schleuse in den Mississippi. Edgar hatte an diesem Tag den Job als Funker, der auch ganz seinem Naturell entsprach. So groß hatte ich mir den Mississippi irgendwie nicht vorgestellt. Da liegen große Seeschiffe mitten im Fluß vor Anker und trotzdem ist an beiden Seiten noch reichlich Platz. Irgendwie mußte ich an Tom Sawywer und Huckleberry Finn denken, deren Geschichte an den Ufern dieses Flusses spielte. Nach einer kurzen Strecke bogen wir schon wieder nach Steuerbord ab und verließen den Mississippi durch eine Schleuse, die uns in die "Algier Alternate Route" führte. Dies ist ein Kanal, durch den man die sog. Barataria Passage erreicht, über die man östlich des Mississippi Deltas wieder den Golf von Mexiko erreicht. Diese Strecke wird mir sicher unvergeßlich bleiben. Man fährt mitten durch die Sümpfe und Marshlands von Louisiana. Einfach wunderschön, fast schon kitschig war der Sonnenuntergang in dieser lieblichen und zugleich wilden Landschaft. Hillmar spielte im Bug auf seiner Mundharmonika und trotz des flachen Wassers (im Schnitt 2 bis 4m) begleiteten uns viele Delphine. Überhaupt scheint mir der Golf von Mexico eines der fischreichsten Meere zu sein, die ich kenne. Das einzige, was die Romantik an diesem Abend ein wenig störte, war das Brummen der Maschine. Quasi mit dem letzten Büchsenlicht erreichten wir den Mündungsbereich des Barataria und mußten mangels Wind auch im Golf noch ein paar Stunden motoren. Gegen Mitternacht kam dann aber eine leichte Brise auf, die uns sanft an den zahlreichen Bohrplattformen an der texanischen Küste vorbei schob.

Von der Strecke bis zur Einfahrt in die Galveston Bay vor Houston gibt es nicht viel zu erzählen. Langsam begann sich wieder jene Ruhe und Routine einzustellen, die sich erst auf längeren Seestrecken entfalten kann. Irgendwann gab es dann sogar wieder frische Brötchen und Brot, die ich zum Ende der Nachtwache gebacken hatte.

Nur für Hillmar war es mit der Ruhe schon vorzeitig vorbei, nachdem wir wieder in "Mobiltelefon-Reichweite" der Küste gekommen waren. Nun mußte er erst einmal seine Frau und seinen Sohn "zusammenstauchen", weil diese offenbar das dringend benötigte Netzteil für sein repariertes Notebook nicht aus dem Laden mitgebracht hatten. Über die Video-Aufnahme von diesem Telefonat, mußte er später selbst lachen. in diesem Augenblick war ihm aber gar nicht zum Lachen, da er den Rechner für eine gleich im Anschluß geplante Reise wohl dringend brauchte.

Umso aufregender gestaltete sich dann das Einlaufen in die Galveston Bay und den anschließenden Clearwater Lake, in dem bereits ein Liegeplatz für die Spirit reserviert war. Wir erreichten die Ansteuerung bei Nacht, was ich jedoch keineswegs als problematisch eingeschätzt hatte. Schließllich war dies ein Hauptschiffahrtsweg, der auch von großen Schiffen befahren wurde und dementsprechend gut befeuert sein mußte. Nicht gerechnet hatte ich mit dem enormen Verkehr hier, der das Gewässer wirklich verdammt eng werden ließ.

Zunächst ging alles noch relativ geordnet zu. Mit einer Halse drehten wir in den Zufahrtskanal zur Galveston Bay. Anschließend bargen wir auf Höhe der Reede von Galveston den Fisherman und das Großsegel. Als wir dann vor dem Wind quer über den Intracoastal Waterway rauschten, der hier den Houston ShipChannel kreuzt, sah ich schon eine ganze Reihe Lichter, die ich nicht einordnen konnte, was aber bei Großstadtansteuerungen eigentlich ganz normal ist. Stb voraus fiel mir eine magere grüne Funzel auf, die wohl zu einem Segler gehörte? An Bb war ein Schlepper zu sehen, vor dem wir aber noch locker queren konnten. Im letzten Augenblick sah ich dann, daß die grüne Funzel und der Schlepper verbunden waren! Es handelte sich um einen bestimmt 300 m langen Schubverband. Nur eine harte Drehung nach Stb bewahrte uns davor, diesem Ungetüm in die Seite zu fahren. Gleich danach kam der nächste Schubverband, der uns von Stb mit seinem Suchscheinwerfer blendete. Nachdem wir diesen neuralgischen Punkt passiert hatten, wurde es erst einmal wieder ruhiger, wenn man davon absieht, das der Kiel sich nicht mehr hochfahren ließ. Wir mußten den Kiel aber spätestens zur Einfahrt in den Clearwater Lake oben haben, weil die Häfen dort nur etwa 2 m tief sind. Schließlich stellte Edgar durch einen Blick in den Schwertkasten dann fest, daß die Hydraulik den Kiel deshalb nicht hochziehen wollte, weil er schon oben war! Wir waren also die letzten Tage ohne Kiel gesegelt. Offenbar hatte die Hydraulik beim Ausfahren irgend etwas getan, was sich nur so anhörte als wenn der Kiel bewegt wird. Der Kontrollgeber, der normalerweise anzeigt, daß der Schwenkkiel ausgefahren ist war leider schon seit längerem nicht mehr in Ordnung gewesen.

Eine gute halbe Stunde später kam dann der dramatische Höhepunkt dieser Ansteuerung: Bb voraus sah ich ein großes entgegenkommendes Fahrzeug. Anscheinend außerhalb des sehr engen Fahrwasers lagen Stb voraus 3 Schlepper, deren Funktion ich an dieser Stelle nun überhaupt nicht erkennen konnte. Je näher wir dem großen Fahrzeug kamen, desto mehr schien dieses auf unsere Fahrwasserseite zu kommen. Schließlich sah das ganze schon so aus, als ob der vermeintliche Schubverband schräg vor uns aus der Fahrrinne wollte. Aber was zum Teufel wollte der Kollege denn dort, wo die Wassertiefe mit Sicherheit nicht mehr als 2 m betrug. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich sah, was ich erst gar nicht glauben wollte. Konnte ich denn so dämlich gewesen sein?! Das Ding führte in einem Meer von Arbeitsscheinwerfern u. a. rot-weiß-rot und zusätzlich an der Seite, die ich zum Passieren auserkoren hatte, zwei rote Lichter. D. h. es handelte sich um einen Bagger, den man jedenfalls auf dieser Seite NICHT passieren sollte! Inzwischen blinkte er uns auch schon mit dem Suchscheinwerfer an, um uns auf unseren "fatal Error" aufmerksam zu machen. Mit der trockenen Bemerkung "Wir müssen jetzt mal kurz wenden" nahm ich Edgar, der noch gar nicht wußte, was los war das Ruder aus der Hand, und legte es eiligst hart Steuerbord. Das führte uns natürlich auf's Flach (mit möglicherweise auch weit weniger als 2 m Wassertiefe!). Aber nach Bb konnten wir schon nicht mehr, weil da der Bagger nebst seinem Ankerseil im Wege war. Argwöhnisch beobachtete ich während der Drehung um etwa 200 Grad das Echolot, das aber glücklicherweise nicht unter 5 m fiel. Hillmar und Wolfgang holten derweil die noch stehende Fock ein. Schnell gab ich Gas um ausreichend Abstand zwischen uns und den Bagger zu bringen und fuhr schließlich auf der Seite mit zwei grünen Lichtern vorbei. Auf der Rückseite konnte man schließlich das gewaltige Saugrohr sehen, das in weitem Bogen vorher wie eine Falle vor uns gelegen hatte und von den 3 "rätselhaften" Schleppern auf Position gehalten wurde.

Der Rest der Fahrt verlief dann wieder so, wie eine Nachtfahrt eigentlich laufen soll und wir legten sicher in der Waterford Marina an, nachdem uns zuvor noch ein gewaltiges RoRo-Schiff überholt hatte.

Ich persönlich werde dieses Fahrwasser jedenfalls nachts so schnell nicht wieder befahren!

Was nun kam, kann man wirklich als Urlaub bezeichnen. Während der folgenden Tage zeigte Edgar mir einiges von der riesigen Stadt Houston, wobei ich insbesondere den Besuch bei der NASA sehr beeindruckend fand. Ich bin Edgar für diese unvergeßlichen Tage zu Dank verpflichtet.

Wie geplant saß ich dann am 26. November wieder in einer Boeing 747 der Lufthansa, die mich sicher und schnell zurück nach Deutschland brachte.