Reise mit der SPIRIT OF BREMEN von Bremen zu den Bahamas

Die Vorbereitung

Eigentlich wollte ich nach meiner Taiwanreise ja als Physiker und frisch gebackener Familienvater seßhaft werden. Aber die Reise, die da nach einigem Hin und her mit Edgar, dem stolzen Eigner eines neuen 16 m Schoners aus Aluminium vor mir liegen soll, ist einfach zu verlockend, um nein zu sagen.

Noch während der Vorbesprechungen zu einem Job, den ich dieses Jahr an der Uni übernehmen will, ruft mich eines abends Edgar aus Houston an.

Ich erinnere mich noch an einen Brief, den er mir vor meiner Abreise nach Taiwan geschickt hatte, und in dem er mich fragte, ob ich nicht bereit wäre, als Skipper seinen Schoner im Herbst über Palos in Spanien unter Teilnahme an der Cruising-Regatta "America 500" nach Amerika zu segeln. Edgar ist deutscher Geschäftsmann, der in Amerika ein Unternehmen betreibt und deshalb naturgemäß nicht die Zeit hatte, die ganze Reise selbst mitzumachen. Er wollte aber die Atlantiküberquerung im November zusammen mit seinen Söhnen und mir als Skipper durchführen.

Seine Anfrage bei mir verdankte ich der Empfehlung meines Freundes Jürgen, der Edgar im Vorjahr mal auf Helgoland kennengelernt hatte, wobei Edgar ihm von seinen Problemen berichtete, einen zuverlässigen Skipper für die geplante Reise zu finden. Der Mann, der das Schiff ursprünglich führen sollte, war inzwischen krank geworden, sodaß die ganze Reise, die in der regionalen Seglerpresse schon publik gemacht worden war, in Frage stand.

Ich hatte den Auftrag vor meiner Abreise nach Taipeh mit einer kurzen Erklärung der Gründe abgelehnt und war nun etwas überrascht, als Edgar mich nochmal anrief.

Als Edgar mir nun in dem Telefonat die Möglichkeit anbot, meine Familie auf der ersten Etappe bis zu den kanarischen Inseln mitnehmen zu können, sah die Sache natürlich schon ganz anders aus, und ich mußte Angela nur noch davon überzeugen, daß das kurze erste Stück über die Nordsee und die Biscaya auch zusammen mit einem knapp einjährigen Kind schon nicht so schlimm werden würde.

Nachdem das gelungen war, standen der Sache nur noch zwei Probleme im Wege: Zum Einen wollte bzw. konnte die ursprünglich von Edgar geplante Crew für die erste Etappe bis zu den Kanaren nun nicht mehr an dem Törn teilnehmen, zum Anderen mußte die noch nicht ganz fertige Spirit of Bremen, so der Name des Schiffes, das für 3 1/2 Monate mein Heim werden sollte, für eine solche Reise erst noch ausgerüstet werden.

Nach einem Treffen mit Edgar im Frühjahr auf der Werft Hooksiel, wo das wirklich schöne Schiff zum Endausbau lag, wurde der Auftrag dann endgültig erteilt, und ich konnte mich intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigen.

Da ich auf keinen Fall wollte, daß meine erste Überführung in eigener Regie ein ähnliches Terminfiasko werden würde, wie die Überführung der Heaven can wait von Taipeh aus, hatte ich es übernommen, die Endausrüstung selbst zu organisieren und der Werft im Rahmen meiner Möglichkeiten ein wenig bei der termingerechten Fertigstellung des Innenausbaus über die Schulter zu schauen.

Außerdem mußte ich nun selbst eine Crew zusammmenstellen. Dieses Problem löste sich erstaunlicherweise recht schnell, und schon nach einigen Anrufen hatte ich insgesamt 4 Leute zusammen, die alle ziemlich sicher mitfahren würden, wobei nur ein Wechsel in Spanien nötig war.

Daneben gab es jede Menge mit der Ausrüstung des Schiffes zu tun. Nur einige Punkte, die zu beachten waren:

Nachdem ich so viel wie möglich davon noch vor meiner nächsten Segellehrerzeit in der Ostsee erledigt hatte, war ich im Juli und Anfang August erst mal wieder auf der Ostsee unterwegs. Angesagt waren Ausbildungstörns, ein Bornholmtörn zusammen mit Angela und die Überführung einer Motoryacht von St. Petersburg nach Damp.

In der Zwischenzeit konnte die Crewfrage zu Hause durch Angela abschließend geklärt werden. Wir organisierten ein Crewtreffen im August, damit sich alle bevor es losging wenigstens ein bißchen kennenlernen konnten .

Da waren wir nun also zum ersten Mal zusammen:

Die letzte im Bunde, Andrea, die erst in Huelva als Ersatz für Werner an Bord kommen sollte, war bei diesem Treffen noch nicht dabei. Andrea kannte ich von einem Ausbildungstörn auf der Ostsee, bei dem sie den BK Schein gemacht hatte.

Mitte August kam dann auch Edgar wieder nach Hooksiel, um die Arbeiten, die er sich selbst vorbehalten hatte, durchführen.

In diese Zeit fällt auch ein Zwischenfall, der auf mich als Schiffsführer vor meinem neuen Auftraggeber alles andere als ein gutes Licht warf.

Es passierte auf einer Erprobungsfahrt, auf der die umgearbeiteten Segel getestet werden sollten und begann mit den Worten des Eigners "Herr Stegemann, übernehmen Sie doch bitte das Ruder".

Ich tat das auch gerne, schließlich hatte ich schon mit vielen verschiedenen Segelyachten manövriert und hatte keine Bedenken, dies auch mit diesem Schiff korrekt durchzuführen. Nun war die Spirit of Bremen aber schon deutlich größer als alles was ich zuvor gesegelt hatte, und was noch entscheidender war, sie hatte mit aufgeholtem Schwenkkiel eine enorme Abtrift. So ging es also bei achterlichem Wind auf die Schleuseneinfahrt zu, die in diesem Fall nur wenig breiter war als das Schiff. Drinnen stellte sich dann erst mal heraus, daß wir hinter den anderen Booten nicht mehr ganz hineinpaßten. Also rückwärts wieder raus.

Bei der nächsten Schleusung war es dann soweit, ich lief wieder ein, wegen der ungewohnten Manövriereigenschaften des Schiffes etwas weit ab vom Steg und etwas schnell. Dennoch gelang es dem sportlichen Segelmacher (ehemals selbst Profiskipper) auf den Steg zu springen, wobei er jedoch die Vorleine zuerst festmachte, während ich noch etwas Fahrt im Schiff hatte. Langer Rede kurzer Sinn, wir dampften unbeabsichtigt in die Vorspring ein, wobei die Stb-Seite des Bugkorbs äußerst unansehnlich verbogen wurde. Ich hätte mich in diesem Augenblick am liebsten unter Deck oder sonstwohin verzogen, aber ich mußte ja zumindest noch mitretten, was noch zu retten war. Also schnell die Heckleine rüber, mit der Winsch durchgeholt und mein erster Anleger mit der Spirit of Bremen war, wenn auch alles andere als zufriedenstellend, abgeschlossen.

Danach gab es dann natürlich freundliche Tips vom Steg, daß wir ja auch zuerst die Heckleine hätten festmachen sollen.

Für den Rest der Fahrt war ich dann recht sprachlos und malte mir schon aus, wie mir in einem Gespräch unter vier Augen am Abend der Auftrag wieder entzogen werden würde.

Das Pech für die Spirit of Bremen und ihren neuen Skipper sollte an diesem Tage aber noch nicht abreißen. Als wir nach vollbrachter Tat bzw. Testfahrt unter der Führung von Edgar selbst wieder einliefen, mußten wir, um auf die nächste Schleusung zu warten, irgendwo festmachen. Dies sollte im Wind an einem Dalben erfolgen. Beim zweiten Anlauf gelang es zwar eine Leine auf den Dalben zu bringen, jedoch liefen wir anschließend mit zwar langsamer, aber noch wirkungsvoller Fahrt so gegen den Dalben, das ich gerade noch meinen Fuß aus dem nunmehr gänzlich "zuschnappenden" Bugkorb ziehen konnte.

Ich bewundere noch heute die Gelassenheit, mit der mein erster Auftritt von Edgar an diesem Tag hingenommen wurde.

Für Meister Gerull von der Werft schien die Sache mit dem Bugkorb nichts Besonderes zu sein und schon am nächsten Tag wurde das gute Stück frisch gerichtet wieder eingebaut.

Da Pico, ein in Bremen wohnender guter Bekannter von Edgar, noch etliche Arbeiten an der Elektrik durchführen sollte, segelten wir an einem Wochenende im August über Helgoland nach Bremen, wo die Spirit an einem Steg in der Lesum soweit noch möglich den letzten Schliff erhalten sollte.

Die Zeit bis zur Abreise verging dann rasend schnell, und Pico mußte sich wegen der knappen Zeit auf das Wesentliche beschränken.

Die nach einem Installationsfehler defekte SSB-Funkanlage (das 12 Volt Gerät war irrtümlich direkt an 24 V angeschlossen worden), der GPS Navigator und die Windmeßanlage von B&G sollten erst in Falmouth repariert werden.

 

Von Bremen nach Falmouth

Endlich, am 3. September war es soweit. Zur Freude von Edgar hatten wir über die Toppen geflaggt. Edgar hatte einige Verwandte und Bekannte sowie den Konstrukteur des Schiffes Horst Stichnoth als Abschiedskomittee eingeladen. Kurz vor dem Ablegen machte ich dann erste Bekanntschaft mit Friedos manchmal etwas eigenwilliger Art: Nachdem ich die Maschine schon gestartet hatte und wir eigentlich sofort ablegen konnten, verabschiedete er sich hastig mit der Erklärung, daß er noch seine Reiseversicherung abschließen müsse.

Also warteten wir noch auf Friedo, der erstaunlicherweise recht schnell wieder auftauchte. Dann konnte es endlich losgehen und wir motorten langsam ein Stück flußabwärts, um an einer Bunkerstelle unsere Diesel- und Wassertanks nochmal zu füllen. Die Dieselmenge erreichte dabei für mich ganz ungewohnte Größenordnungen, fast 600 l schluckten die Tanks der Spirit.

Nachdem wir unseren Flaggenschmuck niedergeholt hatten, legten wir wieder ab und setzten kurze Zeit später bei einem lauen Lüftchen auf der Weser das erste Mal auf dieser Reise die Segel, mußten aber bald einsehen, daß wir ohne die Maschine bei diesem leichten Wind nicht in einer Tide aus der Weser herauskommen würden, und so mußte der Jockel erstmal wieder schieben.

Es war eine wunderbare erste Nacht, und als wir gegen 2130 Uhr das mir wohlvertraute Lichtermeer von Bremerhaven passierten, bekamen wir entsprechend der Wettervorhersage auch wieder leichten westlichen Wind, sodaß wir Segel setzen konnten. Da ich in diesem Revier hinreichend oft erlebt hatte, wie aus einer solch leichten Brise bald mehr wird, wenn man aus der Landabdeckung kommt, beließ ich es auf dem noch ungewohnten Schiff dabei, nur das Großsegel und die vordere Genua zu setzen.

Bald rauschten wir mit guter Fahrt bei SW 4-5 der nächtlichen Nordsee entgegen. Ein wenig Wetterleuchten war am Horizont zu sehen und so vergingen die Stunden unter aufmerksamer Beobachtung des Wetters und der Fahrwassermarkierungen.

Wir begannen mit der Wacheinteilung. Ich hatte vor, wegen des starken Schiffsverkehrs und der zu erwartenden häufigen Segelwechsel bis zur Biscaya immer zu zweit auf Wache zu ziehen. Wir gingen vierstündige Wachen. Friedo sollte als zweiter Wachführer zusammen mit Werner Wache gehen, während ich die Wache mit Norbert teilte.

Im weiteren Verlauf der Nacht frischte der Wind weiter auf, und wir stellten beim Reffen fest, daß irgendwas mit dem ins Cockpit umgelenkten Reffsystem nicht stimmte. Bei Nacht und dem etwas rauheren Wasser hier draußen war es uns aber nicht möglich, den Fehler genau zu lokalisieren, und so mußte ich mich mit dem ersten Reff begnügen. Da ich aber doch sehen wollte, was mit der Reffeinrichtung los war, entschloß ich mich außerplanmäßig Helgoland anzulaufen, wo wir gegen 9 Uhr ankamen. Dort hatte Angela dann zum ersten Mal auf dieser Reise das Vergnügen, Ralfs Schlafsack auszuwaschen, nachdem dieser sein erstes Frühstück auf See nicht bei sich behalten wollte oder besser gesagt konnte.

Nachdem wir die falsch eingeschorenen Reffleinen (nach unserem Dafürhalten...) klariert hatten, liefen wir wieder aus. Der Wind hatte inzwischen auf 6-7 Bft aufgebrist und ich legte mich erst mal im Salon auf eine Koje. Natürlich kam der Wind genau von vorn und ich stellte mich auf ein paar Tage Kreuzen ein, war aber trotzdem guter Dinge, denn wir hatten nun endlich unsere Reise richtig begonnen.

Nach einer sehr kurzen Ruhepause schreckte mich ein dumpfer Knall aus dem Halbschlaf. Das ganze Schiff vibrierte und mit der Vision von gebrochenen Masten oder Ähnlichem stürzte ich in Rekordzeit an Deck, wo das ausgerissene Vorstag mit dem großen Fockroller wie eine Abrißbirne weit in Lee mit dem knatternden Segel hin und her baumelte. Werner war am Ruder, und ich ordnete sofort an, abzufallen, was Werner aber bereits eingeleitet hatte. Ohne das Vorsegel gehorchte die Spirit aber natürlich nur träge dem Ruder.

Gleichzeitig mit meinem Befehl an Werner eilte ich nach vorne, um das Fall loszuwerfen. In dem Moment, wo ich den Mast erreichte, war das Segel allerdings schon in Fetzen.

Nachdem die Genua im Wasser lag, war die Abrißbirne erstmal entschärft, und ich begann, das Tuch aus dem Wasser zu holen, wobei mir der Rest der Crew zur Hife kam.

Ich war natürlich völlig niedergeschlagen ob dieses Zwischenfalls, und es machten sich Zweifel breit, ob ich evtl. zuviel Segel gesetzt hatte.

Jedenfalls war ich in diesem Moment davon überzeugt, daß sich der Auftrag hiermit für mich erledigt hatte. Ich brauchte erst mal Zeit, um mich wieder zu sammeln, und während wir überlegten, was jetzt zu tun sei, ließ ich die Spirit erstmal einfach treiben.

Eine Inspektion auf dem Vordeck zusammen mit Werner ließ meine Stimmung wieder etwas steigen. Werners geschultes Auge erkannte sofort den gravierenden Verarbeitungsfehler, den ich selbst zunächst noch nicht glauben wollte: Die Werft hatte hier mitten im Vorstagpütting eine ausgesprochen miserable Schweißnaht gesetzt, durch die dann auch noch die Bohrung für den Vorstagbolzen verlief. So hatte der Schaden zumindest nichts damit zu tun, daß ich etwa zuviel Segel oben hatte.

Gemeinsam entschlossen wir uns schließlich, die Werft Hooksiel anzulaufen, da wir dort am ehesten auf schnelle Hilfe hoffen konnten.

Über Funk benachrichtigte ich die Versicherungsgesellschaft und Edgars Frau in Houston. Die Versicherung reagierte auch sehr prompt, und noch auf See erhielt ich einen Rückruf, daß die Werft verständigt sei und ein Sachverständiger am darauffolgenden Montag zur Begutachtung des Schadens an Bord kommen würde.

Die letzte Schleusung am Abend erreichten wir nicht mehr, und so machten wir bei Nieselregen abends im Vorhafen Hooksiel fest. Gleich um 8 Uhr am nächsten Morgen schleusten wir dann zur Werft durch und wurden dort auch bald vom Werftbesitzer und dem Konstrukteur, der extra aus Bremen gekommen war, begrüßt.

Der Kommentar von Horst Stichnoth zu dem von uns sorgsam aufgehobenen Bruchstück trifft die Sache genau: "Das hätte man auch mit Uhu ankleben können". Im Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, daß wir mit etwas Glück schon am Montag wieder flott sein konnten. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, aber es kam tatsächlich so. Norbert und Friedo wollten über's Wochenende nochmal nach Hause fahren und versprachen, am Montag wieder an Bord zu sein. Am Montag vormittag rückte dann tatsächlich Firma Hahnfeld aus Bremen mit einer komplett neuen Rollreffanlage an, die gegen Mittag schon wieder betriebsklar war. Lediglich das Segel war so schnell nicht zu reparieren. Es war auch nicht ganz klar, ob sich eine Reparatur überhaupt noch lohnen würde. Ich beschloß daher eine neue Genua (ggf. zusammen mit der reparierten alten), nach Lissabon nachliefern zu lassen, da wir noch eine gleichwertige Passatgenua in Reserve hatten. Auf den Sachverständigen mußten wir noch bis zum Nachmittag warten, und ich mußte ihn selbst auf den Materialfehler hinweisen, den er auch dann zunächst noch lieber ignoriert hätte. Er meinte, daß die Abwicklung bei der Versicherung ohne eine Schadenersatzforderung an die Werft viel unkomplizierter sei. Da aber weder mir noch Edgar daran gelegen sein konnte, diesen Fehler einfach unter den Tisch fallen zu lassen, bestand ich darauf, daß die gebrochene Schweißnaht ausdrücklich erwähnt wurde.

Gegen 19 Uhr legten wir dann schon wieder ab und motorten auf die Jade hinaus.

Wieder gegen 0 Uhr erreichten wir zum zweiten Mal auf dieser Reise die offene Nordsee und hegten nun die berechtigte Hoffnung, daß unsere Reise bis Falmouth ohne weitere Zwischenfälle erfolgen würde. Alles in allem haben wir noch viel Glück im Unglück gehabt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn jemand zum Zeitpunkt des Vorstagbruchs auf dem Vordeck gewesen wäre, oder wenn nicht das zweite Vorstag den Fockmast gehalten hätte.

Schon am Dienstag stellten sich aber neue Pannen ein: Nach einer Schauerbö mit Stärke 8 blockierte die Rollgenua und konnte nicht mehr ausgerollt werden. Da ich befürchtete, die Genua u. U. bei einer weiteren Bö auch nicht mehr einrollen zu können, setzten wir die Sturmfock und packten die Genua zunächst einmal weg. Das war natürlich die meiste Zeit des Tages eine absolut zu kleine Besegelung. Das Schiff war durch das zu kleine Vorsegeldreieck extrem luvglierig und Tagesetmale von 50-80 sm ließen nicht gerade Freude aufkommen. Aber obgleich ich in den Augen der Crew ein wenig als Angsthase dastand, bestand ich weiter auf dieser Besegelung. Ich konnte mir einen weiteren großen Schaden etwa dadurch, daß ich die Genua im entscheidenden Augenblick nicht mehr hätte verkleinern können, einfach nicht leisten.

So hofften wir alle darauf, den Fehler bei ruhigerem Wetter lokalisieren und beheben zu können.

Die Zeit verging langsam in nassen Klamotten, die ich hier im vielbefahrenen Gebiet der südwestlichen Nordsee nie ganz ablegte. Nach dem Erlebnis mit dem Vorstag war die Angst allgegenwärtig, daß noch etwas wichtiges entzwei brechen könnte und jedes Segelmanöver, das die Wache durchführte, ließ mich zumindest für einen kurzen Blick aus dem Schlaf schrecken.

Ralf war am ersten Seetag wieder seekrank, was man bei ihm jedoch zunächst nicht so ohne weiteres erkennen konnte. Lediglich daran, daß er seine Mahlzeit, die er zunächst mit großem Appetit aufnahm, ein paarmal in Gänze wieder rückwärts aß, konnte man bei ihm erkennen, daß etwas nicht so war, wie sonst. Diese Seekrankheit stellte sich auch auf der weiteren Reise immer wieder am ersten Tag nach einem Landaufenthalt ein. Angela hatte es dabei natürlich gar nicht leicht, denn Sie mußte in dieser schwankenden Welt immer wieder unter erschwerten Bedingungen für das leibliche Wohl des Kleinen sorgen und dabei noch sorgfältig darauf achten, daß an den neuen Polstern nichts verschmutzt wurde. Zeitweise war sie in den folgenden Tagen doch nervlich ziemlich am Ende und es kamen ihr Zweifel, ob das mit diesem Törn so eine gute Idee für sie war.

Vor Borkumriff kreuzten wir fast einen ganzen Tag herum, ohne groß von der Stelle zu kommen. Mal versuchten wir es in der Küstenverkehrszone, dann mal wieder auf der Außenseite des Verkehrstrennungsgebietes Terschelling-Deutsche Bucht, immer in der Hoffnung auf eine günstige Winddrehung. Wenn wir doch wenigstens an Terschelling vorbei wären, könnten wir den dann geforderten S-Kurs entlang der Küste bei diesem Wind direkt anliegen. Alles in allem war unser Tagesetmal an diesem Mittwoch fast schon entmutigend. Aber Segeln verlangt nun mal Ausdauer und Geduld.

Am Donnerstag erreichten wir Texel und der Wind schlief fast ein. Das war die Chance, mal nach der Rollreffanlage zu sehen. Wir ankerten vor der Insel im Schutz eines Sandes. Die Sonne schien, und nach einem kräfigen Frühstück mit Eiern und Speck machten Werner und ich uns an die Arbeit. Die Ursache des Fehlers war das Fall, das sich beim Einrollen der Genua um das Vorstag wickelte. Wir behoben diesen Fehler provisorisch dadurch, daß wir das letzte Stück des Falls durch ein Holzstück versteiften. Eigentlich mußte aber der Winkel zwischen Vorstag und Fall vergrößert werden. Der für diesen Zweck etwas unterhalb der Fallscheibe angebrachte Umlenkbügel, war jedoch wieder einmal abgerissen.

Als nächstes mußte das Vorstag noch etwas nachgespannt werden und dabei passierte ein Zwischenfall, der auch folgenschwerer hätte sein können: Mir rutschte das Profilvorstag in dem Moment aus der Hand, in dem Werner seinen Daumen darunter hatte. Während ich noch unter Deck war, um Verbandszeug für die tiefe Schnittwunde im Daumen zu holen, arbeitete sich Werner vom Vordeck zurück ins Cockpit und wurde dabei -wahrscheinlich durch den Schock und die Entkräftung durch die vorangegangenen anstrengenden Tage- fast ohnmächtig. Als ich wieder hochkam, war Werner kreidebleich und zunächst gar nicht mehr ansprechbar. Ich bin heute noch heilfroh, daß er bei dieser Gelegenheit nicht über Bord gefallen ist.

Gegen 18 Uhr lichteten wir den Anker und segelten bei leichtem SE-Wind weiter. Zum ersten Mal konnten wir den 85 qm großen Blister der Spirit setzen, der ein riesiges Bremer Wappen in seiner Mitte trägt. Ein herrlicher Anblick, und die darauffolgende sternenklare Nacht, in der wir zum ersten Mal auf dieser Reise richtig gut vorwärts kamen, entschädigte schnell für die vorangegangenen Strapazen. Wir liefen zeitweise über 8 kn Fahrt und das auch noch auf direktem Kurs! Immer wieder faszinieren mich diese gegensätzlichen Eindrücke, die einem die See vermittelt.

Gegen halb eins war der Spaß aber auch schon wieder vorbei. Der Wind fiel für den Blister zu weit vorlich ein und nahm allmählich zu. Also hieß es -natürlich wieder mal in der Nacht- Blister runter, Genua ausrollen.

Wieder ging die Kreuzerei los, aber gegen 0 Uhr hatten wir wenigstens das Erfolgserlebnis, den Eingang zur Straße von Dover zu erreichen. Irgendwann am nächsten Tag, während der Wind auf Stärke 7-8 auffrischte, riß das Genuafall beim Einreffen und unsere provisorische Reparatur hatte sich erledigt. Wieder ging das Spielchen mit der Sturmfock los, die aber in der folgenden Nacht zumindest für kurze Zeit während der Böen nicht einmal zu wenig Segelfläche darstellte.

Die Crew wollte am liebsten einen Hafen an der belgischen Küste anlaufen, um den Schaden zu beheben und auszuruhen (vermutlich vor allem letzteres). Der Vorschlag wurde von mir kategorisch abgelehnt, da wir immer noch voll seeklar, wenn auch etwas langsamer waren. Schließlich hatten wir schon genug Zeit verloren.

Während Werner und Friedo von ihrer Wache in der folgenden Nacht richtig begeistert waren, beschäftigte mich dauernd der Gedanke, was wohl als nächstes kaputtgehen würde. Schließlich war das vorher veranschlagte sehr knappe Budget für Schäden schon bei weitem überschritten. Wenn ich auch für den bisher größten Schaden keine Verantwortung trug, war mir der Gedanke, dem Eigner womöglich noch weitere Schadensmeldungen präsentieren zu müssen, doch sehr unangenehm.

An Schlaf war irgendwie nicht zu denken, jedes verdächtige Geräusch ließ mich hochschrecken.

Die weitere Fahrt bis Falmouth verlief ohne große Zwischenfälle, wobei wir bei abflauendem Wind zeitweise die Maschine benutzten und auch die Genua am Reservefall wieder setzen konnten. Die Maschine versagte uns allerdings des öfteren den Dienst. Irgendwie kam Luft ins Treibstoffsystem, wir konnten die Undichtigkeit jedoch zunächst nicht lokalisieren.

Zwei Tage später erreichten wir bei Nacht den Hafen von Falmouth, wo wir feststellen mußten, daß die Maschine für das Ankermanöver nicht mehr zur Verfügung steht.

Da hier drin fast kein Wind mehr war und das bißchen auch noch von vorne kam, mußten wir mit dem ersten besten Platz vorlieb nehmen, den wir halb treibend, halb fahrend erreichen konnten. Kreuzen auf dem zur Verfügung stehenden Raum war mit der bei diesem Lüftchen schwerfälligen Spirit völlig unmöglich.

Da waren wir also am ersten planmäßigen Etappenziel dieser Reise angekommen. Absolut gesehen mit insgesamt 11 Tagen natürlich ein extrem langsamer Törn. In Anbetracht der Pannen aber auch wieder gar nicht so schlecht.

Die Crew hatte nichts eiligeres zu tun, als möglichst schnell die Freuden des Landlebens zu genießen, und als ich mich zunächst wegen der in meinen Augen unnötigen Liegegebühren weigerte, einen Stegliegeplatz zu nehmen, waren wir nahe an einer Meuterei. Schließlich gab ich nach, denn die paar Mark mußten nun auch noch drin sein, um die ohnehin etwas kritische Stimmung an Bord davor zu bewahren, ganz in den Keller sinken.

Nach zwei Tagen in Falmouth, in denen wir mit Hilfe eines Segelmachers vor allem das Problem mit den Genuafallen in den Griff bekamen, war die Stimmmung schon wieder viel besser, und insbesondere Friedo wurde schon wieder ungeduldig weiter zu fahren. Während ich inzwischen bezüglich der Einhaltung unseres Zeitplans gar keine Bedenken mehr hatte, war Friedo skeptisch.

Der Maschinenschaden war, nachdem er erstmal lokalisiert war (das aber hatte einige Zeit gedauert) schnell und einfach zu beheben: Die Dichtung an einem Kraftstoffvorfilter war undicht, sodaß die Kraftstoffpumpe Luft zog. Hier müssen Norbert und Werner lobend erwähnt werden, die dabei als Mechaniker gute Arbeit leisteten.

Die SSB Anlage, sowie der GPS Navigator konnten wie geplant repariert werden, an der Windmeßanlage ließ sich hier jedoch auf die Schnelle nichts machen.

Erwähnt werden muß auch noch Norberts großes Verdienst um die Versorgung der Pantry mit Flüssiggas. Das Nachfüllen von amerikanischen Gasflaschen ist in Falmouth nicht möglich und so mußte Norbert sich nach aufwendigen telefonischen Recherchen mit einem Mietwagen auf den Weg machen, um unsere Gasflaschen in Plymouth nachfüllen zu lassen.

Angela nutzte die Zeit, um unsere Wäsche waschen zu lassen und das Nötigste an Proviant nachzukaufen.

Von Falmouth nach Lissabon

Am Abend des dritten Tages stachen wir wieder in See, nachdem wir vorher noch etwas nach einer Möglichkeit suchen mußten, unsere Dieseltanks wieder zu füllen. Wir wurden schließlich in einer Marina flußaufwärts fündig, an die wir uns mit aufgeholtem Schwert bei Niedrigwasser herantasten mußten.

Bald nach dem erneuten Auslaufen, setzten wir auf Am-Wind-Kurs bei abflauendem Wind zum ersten Mal den Fisherman, ein viereckiges Segel, das bei Stagsegelschonern an der Rückseite des Fockmastes frei gefahren wird. Wir alle waren überrascht von der zusätzlichen Zugkraft dieses Beisegels, das uns bei leichtem Wind immer noch mit 6 kn voranbrachte.

Tags darauf hatten wir wieder wechselnde Winde und unsere Fahrt schwankte zwischen 4 und 8 kn. Alles in allem kamen wir wunderbar vorwärts.

Angela war nun auch wieder zuversichtlicher, nach dem sie im englischen Kanal schon daran gedacht hatte, das Handtuch zu werfen und im nächsten Hafen an Land zu gehen.

Die Biscaya wurde ihrem schlechten Ruf diesmal glücklicherweise nicht gerecht und wir konnten sie bis auf ein paar auf der Karte seltsam anmutende Bögen durch drehende Winde weitgehend auf geradem Kurs bei überwiegend leichten Winden überqueren.

Lediglich kurz vor La Coruña erwischte uns nochmal eine Bö, die mit prasselndem Regen einherging und uns kurzzeitig gut 8 Windstärken bescherte. Das Barometer hatte diesen schmalen Trog bereits vorher angekündigt und Friedo hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun gehabt, als seine Vorfreude auf das Herannahen eines "großen Unwetters" in Gegenwart von Angela zu verkünden, deren Nervenkostüm in Bezug auf solche Nachrichten sowieso nicht das beste war.

Ausgerechnet während dieser Trog dann durchzog, gerieten wir mitten in eine Fischerflotte, die nach kurzer Zeit vom Regen verschluckt wurde, obgleich sie gar nicht mehr weit weg war. Außerdem mußte es natürlich wieder Probleme mit dem Genuafall geben. Es riß bei einem besonders starken Windstoß, obwohl wir schon sehr weit eingerefft hatten.

Bald danach aber wurde es ruhiger und wärmer und wir hatten den schwersten Teil der Reise wohl hinter uns. Es wurde herrlich warm und sonnig und der Portugal-Norder, ein küstennaher Ableger des NE-Passats brachte uns stetig und ohne viel Arbeit nach Süden.

Endlich war es auch warm genug für Ralfs erstes Bad in einer kleinen Wanne, die wir in der Plicht aufstellten.

Dieses Bad sollte von nun an zum festen Bestandteil unseres und "Ralles" Tagesablaufs werden. Ralf hatte sich in den letzten Wochen gut entwickelt. Wenn er sich irgendwo festhalten konnte, stand er nun schon recht stabil auf seinen kleinen Beinchen und fing dann sogar schon an herumzulaufen. Das Cockpit wurde zu seinem Laufrevier, und sein Lieblingsstehplatz war das Steckschott vor dem Niedergang, von wo er den ganzen Salon überblicken und ggf. Mama bei der Zubereitung seiner Mahlzeiten "anfeuern" konnte. Wenn wir dann etwas Lage schoben, wurde er immer wütend mit sich selbst, weil er seine neuen Lauffähigkeiten auf der schiefen Ebene nicht mehr so ausspielen konnte, wie er wollte.

Sogar der hartgesottene Segler Friedo gab zu, daß er diesen Müßiggang unter Segeln nach der zwar nicht übermäßig harten, aber doch strapaziösen Fahrt durch Nordsee und Biscaya genoß.

Die Weiterfahrt nach Lissabon verlief ohne größere Zwischenfälle, lediglich am Blister und an der Genua gab es leichte Schäden durch nicht abgedeckte Splinte der Reling, bzw. durch Schamfilen am Bugkorb.

Wir experimentierten bei zeitweise leichten Winden ein wenig mit den Segeln und hatten einige Male alle Segel oben, die wir zur Verfügung hatten: Schmetterling mit ausgebaumter Genua + Blister, Fisherman, Stagsegel und Großsegel.

Ärgerlich war, daß das in Falmouth reparierte SSB Funkgerät offenbar immer noch nicht richtig funktionierte. Obwohl wir Lissabon Radio zeitweise sogar schon über UKW hören konnten, war eine Verbindung über Grenzwelle weder nach Lissabon noch zu irgendeiner anderen Küstenfunkstelle herzustellen. Das Gerät schien zwar irgendwie zu senden, tat das aber anscheinend viel zu schwach. Ich war dem Elektroniker gegenüber gleich irgendwie skeptisch gewesen, weil wir auch in Falmouth nur im Nahbereich durchgekommen waren. Nun gut, wenigstens unser GPS Empfänger funktionierte nach der Reparatur in Falmouth einwandfrei.

Am Donnerstag, dem 24. 9. standen wir bei strahlendem Sonnenschein vor Lissabon. Der Blister trieb uns bei einer herrlichen Brise zeitweise mit über 9 kn dem Rio Tejo entgegen, Delphine begleiteten uns mit ihren fröhlichen Spielen, kurz gesagt also Segeln wie im Bilderbuch.

Am Nachmittag machten wir an einer Stromkaje fest, um einzuklarieren und evtl. schon etwas über unsere Segel aus Deutschland zu erfahren.

In der Hoffnung, nicht zu lange für die Prozedur zu brauchen, machte ich mich also auf den Weg zum Zollgebäude. Leute, die englisch sprechen, sind in Portugal sehr selten, und so dauerte es eine Weile, bis man mir dort verständlich gemacht hatte, daß ich zunächst zur Wasserschutzpolizei gegenüber gehen mußte um dann noch einmal beim Zoll vorzusprechen. Also ging ich weiter zu dem großen Gebäude gegenüber, um welches ich erst ganz herumlaufen mußte, bis ich endlich eine Tür gefunden hatte, auf der nicht mehr auf den jeweils nächsten Eingang verwiesen wurde.

Dort angekommen wurde ich erstmal aufgefordert, alle Pässe, sowie den Schiffsmeßbrief auf den Tisch zu legen. Dann begann der Beamte mit Akribie Formular um Formular in mehrfacher Ausfertigung auszufüllen, wobei er mich immer wieder nach dieser oder jener Spezifikation des Schiffes fragte (alles natürlich mit Händen, Füßen und Zeichnungen). Die Prozedur lief extrem schleppend ab, und so ersparte ich mir auch den Hinweis, daß der Beamte nur meine Vornamen, nicht aber den Familiennamen aus dem Paß abgeschrieben hatte. Endlich war dann auch das letzte Formular "kopiert", und ich wollte gerade die ganze Papierflut zusammenraffen, als der Beamte mich höflich aber bestimmt aufforderte nun noch 200 Escudos zu bezahlen. Natürlich hatte ich das Geld an Bord vergessen. Also im Schweinsgalopp zurück, wo die Crew schon wieder sauer war, weil es so lange keinen Landgang gab.

Nachdem ich also meine Schuld beglichen hatte, mußte ich noch beim Zoll vorsprechen. Aber wer sich der verständlichen Hoffnung hingibt, daß diese Prozedur nach der langwierigen Vorbereitung schneller gehen müsse, wird bald eines Besseren belehrt. Alle Daten werden hier nämlich noch einmal in Zollformulare abgeschrieben, wobei zusätzlich noch ein paar Fragen über die an Bord befindliche "Ladung" zu beantworten sind. Mit der ganzen Prozedur ist man dann, wenn's gut läuft nach zwei Stunden fertig.

Zur Ehrenrettung des portugiesischen Amtsschimmels muß ich aber sagen, daß alle Beamten sehr freundlich waren, sodaß ich die Sache eigentlich ganz amüsant fand.

Überhaupt sind zwei angenehme Eigenschaften charakteristisch für die Portugiesen: Sie sind sehr kinderlieb und hilfsbereit.

Im Anschluß an die Einklarierung machte ich mich zusammen mit Norbert auf den Weg, um die Firma zu suchen, bei der die nachgelieferten Vorsegel hinterlegt sein sollten. Da wir bereits Ebbe hatten, und Angela zur Zeit allein an Bord war, konnten wir uns nicht sehr viel Zeit lassen und so gingen wir bei der ersten Gelegenheit in ein Firmengebäude, um nach der Firma zu fragen. Dort saß eine recht gutaussehende junge Dame, die sehr hilfsbereit war und gleich begann, eine Telefonverbindung mit der Importfirma herzustellen. Im Gespräch stellte sich heraus, daß das Segel tatsächlich für uns bereit lag. Jedoch mußte ich sofort den Liegeplatz angeben, an dem wir das Paket am nächsten Tag übernehmen würden. Das war in dem Augenblick schwer zu sagen, da wir an der Stromkaje nicht liegen bleiben wollten und ich auch noch nicht genau wußte, wo man hier am besten über Nacht liegen kann. Da aber der Zoll an einem Wochentag mindestens 12 Stunden vor der Lieferung von Transitware informiert werden muß und wir nicht das ganze Wochenende Pause machen wollten, gab ich schließlich unseren augenblicklichen Liegeplatz beim Doca Alcantara an. Dadurch mußten wir am nächsten Tag allerdings wegen der Segel nochmal verholen.

Als wir wieder zurückkamen, war das Wasser schon recht weit gefallen und der Strom zerrte ganz gewaltig an den Leinen. Zudem mußten wir Platz machen für einige Leichter, die an der Pier etwas stromabwärts verholt werden sollten. Nachdem wir anfangs mit wenig Erfolg versuchten das Schiff in diesem enormen Strom an der Pier nach achtern zu verholen, mußten wir schließlich doch zunächst ab- und dann wieder anlegen, um Friedo und Werner, die auf Landgang waren, wieder aufzunehmen.

Gleich nachdem die beiden an Bord waren, verließen wir den ungastlichen Platz, um in eine kleine Marina mit dem klangvollen Namen "Doca Terreiro do Trigo" zu verholen. Auch mein Handbuch empfiehlt diese Marina und sie ist in der Tat ein unvergleichlich besserer Platz als die Zollpier. Wir lagen mit Achterleinen an Heckbojen und Vorleinen zur Pier. Einziger Nachteil für die nach zeitlich unbegrenztem Landgang hungernde Crew: Am Liegeplatz selbst gab es keine Leiter. Also verbanden wir das Dinghi an einer Endlosleine mit der nächsten Leiter und die Crew stürzte sich an Land.

Nachdem Friedo sich bereit erklärt hatte, den Babysitter zu spielen, konnten Angela und ich zusammen mit Werner und Norbert in einem kleinen Restaurant essen gehen. Während wir gleich nach dem Essen wieder an Bord gingen, um Friedo zu erlösen, unternahmen Werner und Norbert noch einen ausgedehnten Gang durch die Stadt.

Auch Friedo machte sich, nachdem wir wieder an Bord waren, auf den Weg in die Stadt und kam erst früh am Morgen wieder. Es muß wohl eine feuchtfröhliche Nacht gewesen sein, denn er schlief auf halbem Wege zum Schiff im Dinghi erstmal ein.

Am Vormittag des nächsten Tages stellte sich heraus, daß das Einklarieren auch hier in der Marina möglich gewesen wäre, noch dazu nach einem vereinfachten Verfahren. Nun ja, beim nächsten Mal bin ich schlauer.

Um 13 Uhr ging es dann schon wieder stromabwärts, um die Segel abzuholen. Ich hatte mit dem Lieferanten vereinbart, daß wir die Segel um 14 Uhr am Kopfende des Doca Alcantara übernehmen würden. Nur Norbert und ich waren an Bord. Der Rest der Crew, inklusive Angela und Ralf, war an Land, um diverse Besorgungen zu erledigen. Leider hatte ich nicht bedacht, daß am Eingang zum Alcantara Dock eine Drehbrücke im Weg ist, die erst um 16 Uhr wieder öffnen würde. Es war zum Verrücktwerden. Wenn wir den "Segeltransporter" hier verfehlten, würden wir das ganze Wochenende in Lissabon festliegen. Wir legten an einem kleinen Ponton an, und Norbert machte sich murrend auf den Weg zum Ende des langgestreckten Hafenbeckens, um unseren Lieferanten dort abzufangen. Schließlich gelang es uns doch noch an unsere Segel zu kommen. Der Fahrer kam aber über eine Stunde später als erwartet und ich entschloß mich, nun doch noch die nächste Nacht hier in Lissabon zu verbringen. Das hatte den Vorteil, das die Crew am nächsten Tag nochmal ausschwärmen konnte, um zusätzlichen Proviant zu holen.

Von Lissabon nach Puerto Sherry

Nachdem wir die Brücke zur festgelegten Zeit auslaufend passiert hatten, legten wir nochmal an, um auf die Ebbe zu warten, die gegen 16 Uhr einsetzen sollte. Bis dahin fand ich nun auch noch etwas Zeit, zusammen mit Angela und Ralf Lissabon zu entdecken. Ralf reiste auf meinem Rücken in der schon wohlerprobten Trage. Die Spirit lag an einem Schwimmkran gut und sicher. Es war nicht damit zu rechnen, daß dieser heute am Sonntag noch bewegt werden würde. Trotzdem hatte ich,- allerdings wegen der sprachlichen Barrieren erfolglos-, versucht, über Funk vom Hafenamt zu erfahren ob irgendwelche größeren Schiffsbewegungen im Dock zu erwarten waren. Eigentlich hatte ich keinen Grund zur Sorge, denn schließlich war mit mit Friedo ja ein fähiger Segler an Bord, der zusammen mit den anderen inzwischen schon erprobten Crewmitgliedern ein Verholmanöver schon hinkriegen würde. Und trotzdem- ein gewisses Unbehagen bleibt einem doch immer, wenn man das einem anvertraute Schiff an einem nicht völlig sicheren Liegeplatz eine Zeitlang aus den Augen verliert.

Dennoch war es einfach herrlich, wenigstens noch ein paar Stunden bei Tage an Land herumstreunen zu können. Ralf wurde fast üerall mit einem Augenzwinkern oder Lächeln begrüßt. Die Portugiesen sind eben, wie schon gesagt sehr kinderlieb.

Als wir wieder an Bord kamen, mußte ich wieder einmal feststellen, daß die Großschiffahrt eben auch am Sonntag nicht ruht; -während meiner Abwesenheit war wohl ein großes Seeschiff in das Dock eingelaufen und alle dort im Päckchen liegenden Fahrzeuge waren aufgefordert worden, Platz zu machen. Bis auf interne Streitigkeiten während des Manövers zwischen Norbert und Friedo war wohl alles wunderbar gelaufen.- Immer gut, wenn man sich auf die Crew verlassen kann.

Anschließend ging es gleich wieder auf See mit Ziel Albufeira an der Algarve. Die Tide trug uns zusammen mit einer günstigen Brise rasch aus der Sichtweite von Lissabon in die Nacht hinein. Die Seeroutine kehrte schnell wieder ein und es gibt von der folgenden Etappe bis zur Südwestecke der iberischen Halbinsel eigentlich nicht viel zu erzählen, außer daß wir das herrliche Wetter und die vielen Begegnungen mit den fröhlich um unser Schiff spielenden Delphinen alle sehr genossen. In den Nächten boten die spielenden Delphine ein wunderbares Schauspiel, wenn das Meeresleuchten ihr Kielwasser zur grün funkelnden Spur im Nichts machte.

Leider hatte sich Ralf bei dem inzwischen erfolgten Klimawechsel tüchtig erkältet. Der kühle Norden hatte ihm nichts anhaben können, aber die in Lissabon herrschende Hitze war ihm nicht bekommen. Mit etwas Nasenspray und Hustensaft war die Sache aber glücklicherweise schon bald wieder in den Griff zu bekommen.

Einziger Wermutstropfen war die Häufung von Konfliktsituationen insbesondere zwischen Norbert und Friedo. Aber auch wir anderen hatten zeitweise unsere Schwierigkeiten mit Friedos unbeschwerter Art, sich z. B. oft im Hintergrund zu halten, wenn es um profane Alltagsarbeiten ging, die eines echten Seglers nicht würdig sind.

Der stetige Portugal Norder, der uns so leicht nach Lissabon gebracht hatte, wurde umso schwächer und unregelmäßiger, je weiter wir nach Süden kamen.

Am Sonntag den 27. 9. 1992 vermerkt das Logbuch um 1730 Uhr: "Cabo de São Vicente Bb querab". Wir dümpelten bei fast völliger Flaute dicht an diesem markanten Punkt vorbei und nahmen zu guter letzt doch die Maschine zu Hilfe, um den nächsten Ankerplatz für die Nacht anzulaufen. Den Plan, direkt bis nach Albufeira zu segeln, hatten wir damit wegen der Flaute aufgegeben, aber schließlich lagen wir gut in der Zeit und konnten es uns leisten, ein wenig zu trödeln. Da lagen wir dann also vor Anker in der "Punta de Sagres", dem ersten Ankerplatz an der Algarve, wenn man von Norden kommt. Ursprünglich hatten Angela und ich gedacht, wir würden hier alle zusammen einen gemütlichen Abend an Bord verbringen, aber die Crew strebte natürlich wieder dem Lande zu, und so machten wir in Grüppchen alle zunächst einen mehr oder weniger langen Ausflug an Land.

Norbert war losgezogen, um zur Feier des Tages noch eine Flasche Wein zu besorgen.

Friedo kam nach etwa einer Stunde wieder und teilte uns mit, daß er sich für den Abend noch mit ein paar Surfern verabredet hatte. Da ich das Dinghi nicht so einfach bis mitten in die Nacht am Strand liegen lassen wollte, bot ich ihm an, ihn entweder um 0 Uhr oder um 2 Uhr auf ein Lichtsignal hin vom Strand abzuholen.

Lange nachdem wir unsere kleine Bordfeier beendet hatten, leuchtete die Taschenlampe beim zweiten Termin um zwei Uhr und ich machte mich in der wunderbar sternenklaren Nacht auf den Weg zum Strand. Bei jedem Eintauchen der Paddel ins Wasser funkelte Meeresleuchten auf, und man wäre am liebsten eine Weile stehengeblieben, um einfach nur träumen. Aber schon hob eine leichte Brandung das Dinghi etwas höher an und mit dem nächsten Wellenberg setzte ich es mit einem kräftigen Riemenschlag auf den Strand.

Friedo hatte eine weittragende Fahne und war ausgesprochen gut gelaunt. Wir unterhielten uns während der Heimfahrt noch ganz angeregt, und Friedo bekannte, daß er der "Gefahr", sich zu verlieben gerade noch einmal entronnen war. Nun war er froh, daß wir schon in wenigen Stunden unter Segeln das Weite suchen würden.

Unser nächstes Etappenziel war Portimaõ, wo Werner uns verlassen sollte, weil sein Urlaub vom Bergbaudienst zu Ende ging. Den Rückflug hatte er schon in Lissabon gebucht.

Unterwegs fanden wir bei ganz leichtem Wind sogar nochmal Gelegenheit, Werner für ein paar Außenaufnahmen von der Spirit of Bremen im Dinghi auszusetzen. Dabei wurde alles Tuch gesetzt, das wir an Bord hatten. Der Wind reichte gerade eben aus, um unsere ganze Segelpracht nicht schlapp herunter hängen zu lassen. Aber die Aufnahmen machten sich später sehr gut.

Wegen des schwachen Windes verzögerte sich unser Einlaufen in Portimaõ bis in die Dunkelheit, und auf der Suche nach einem Liegeplatz an der Pier schlängelte sich die Spirit zwischen den Sandbänken des Hafenbeckens hindurch. Aber so sehr wir auch suchten, es fand sich einfach kein geeigneter Platz, und so mußten wir bis zum Morgen im Vorhafen vor Anker gehen. Auch bei Tageslicht war eine nach der Karte eigentlich vorhandene tiefere Durchfahrt in den inneren Teil des Hafens nicht zu finden. Also tastete ich mich wieder nach Echolot soweit wie möglich voran und ließ den Anker in die trübe Brühe fallen. Werners ganzes Gepäck wurde ins Dinghi verfrachtet und Friedo spielte den Fährmann. Schade eigentlich, daß Werner jetzt schon nach Hause mußte, wo es doch noch soviel zu erleben gab.

Gegen Mittag passierten wir dann die Molenköpfe von Portimaõ wieder auslaufend zu unserer letzten Etappe, bevor wir uns mit der America 500 Flotte in Puerto Sherry treffen würden.

Das Wetter war sonnig mit sehr leichten Land- und Seewinden, aber wir hatten genügend Zeit um auch etwas Flaute abwarten zu können, und deshalb lief die Maschine vorläufig nur zum Laden der Batterien.

Auf diesem Abschnitt passierte uns dann noch ein Malheur, das im Nachhinein betrachtet nicht einer gewissen Komik entbehrt. Es war Nacht, -natürlich, denn sowas kann nur nachts passieren- ich lag in meiner Koje und schlief zusammen mit Ralf und Angela den Schlaf des Gerechten, da kam Norbert herein mit der Meldung "Du Fred, ich glaube wir hängen im Netz fest". "MMh" grummelte ich noch gar nicht ganz wach "ich komme gleich". Oben angelangt stellten wir beide übereinstimmend fest, daß wir wohl wirklich im Netz hingen. Stb und Bb von uns erstreckte sich, -der Scheinwerfer brachte es zutage-, eine Kette von roten Schwimmern (wie die im Schwimmbad nur länger als 50 m) und etwas weiter entfernt sah man mit geübtem Auge (und vielleicht auch dann nur, wenn es schon zu spät ist) die schwach blinkenden Tranfunzeln, die die Fischer ausgelegt hatten, um zu verhindern, daß solche Idioten wie wir in Ihre Netze fahren.

Wir hatten die Warnungen in den Seekarten und Büchern vor Thunfischnetzen in dieser Region wohl zur Kenntnis genommen, und nun mußten wir doch tatsächlich nähere Bekanntschaft mit so einem "Schiffahrtshindernis" machen.

Der für dieses Übel vermutlich verantwortliche Fischer war etwas weiter entfernt auch schon zu sehen, aber ich wollte, um Komplikationen aus dem Wege zu gehen lieber erstmal zur Selbsthilfe greifen. Aber was tun? Mit der Maschine war nichts zu machen, dann hätten wir den Salat auch noch in der Schraube gehabt. Tauchen? Einen Versuch war es wert und so sprang ich ins nächtliche kühle Naß und versuchte das Netz mit dem Bootshaken nach unten wegzudrücken. Aber da ich mich nicht traute, in der Dunkelheit in ein Netz abzutauchen, kam ich einfach nicht tief genug mit meinen Bemühungen.

Nun konnten wir vielleicht den Kiel hochschwenken, aber die Wahrscheinlichkeit war groß, daß das Netz dabei mit eingeklemmt werden würde.

Also mit dem verlängerten Bootshaken von Deck aus nach unten wegdrücken? Gesagt, getan, wir verlängerten den Boootshaken, indem wir ein altes Stück Profilstag daran festlaschten. Das Ergebnis dieser Bemühungen war schießlich, daß der Bootshaken sich so fest im Netz verhakt hatte, daß wir ihn von oben nicht mehr rauskriegten.

Also das Dinghi raus, um näher am Ort des Übels arbeiten zu können. Auf diese Weise waren nun schon zweieinhalb Stunden wie im Fluge vergangen und nunmehr beschlossen wir, daß diese Sache die volle Crew beschäftigen müsse. Also schickte ich Angela, die ohnehin schon wach war nach unten, um den nichts Böses ahnenden und deshalb friedlich schlummernden Friedo aus der Koje zu holen.

Der Fischer kam inzwischen langsam aber sicher immer näher.

Als Norbert dann anfing, Friedo gegenüber im barschen Befehlston zu reden, wollte dieser sich schon aus dem Geschehen ausklinken und ich mußte ein lautes Wort reden, um die Crew erstmal wieder zum Teamwork zu bewegen.

Langer Rede kurzer Sinn, alles half irgendwie nichts, lediglich den Bootshaken konnten wir mit vereinten Kräften noch wieder befreien, in dem wir das Netz an einem Fall weit genug "vorheißten".

Durch unser Zerren am Netz hatten wir uns nun aber in eine Lage gedreht, in der berechtigte Hoffnung bestand, das Schiff einfach rückwärts aus der Netzbucht zu ziehen. Also mit der Maschine rückwärts und genau Spur halten, damit das Ding nicht auch noch in der Schraube hing. Aber auch das half nichts. Wir zogen das Netz aus irgendeinem Grund einfach mit uns mit (wahrscheinlich hatte es sich um den Sicherungsdorn des Schwenkkiels gewickelt).

Nun war es auch hell geworden, der stebige, kunstvoll bemalte Fischkutter war nahebei, und wir konnten getrost erstmal die Arbeit unterbrechen und uns die Schimpfkanonaden der Fischer anhören. In solchen Situationen ist es immer ganz gut, wenn man ganz stille ist. Und was sollte man auch schon groß sagen ohne portugiesische Sprachkenntnisse. Die Fischer waren deshalb so langsam gekommen, weil sie gleich ihr Netz mit eingeholt hatten und nun lagen die beiden Schiffe etwa in 10 m Abstand, verbunden durch das Thunfischnetz. Das Schimpfkonzert der Fischer war schnell einer konzentrierten Arbeit an dem Problem gewichen, das dieser große Fisch ihnen bescherte. Wir bewiesen unseren guten Willen noch einmal durch einen Tauchgang seitens Norbert und Friedo.

Nach einer kurzen Beratung entschlossen sich die Fischer offenbar, das Netz doch zu zerreißen, denn nun gingen sie mit langsamer Fahrt rückwärts. Was uns bei unserem eigenen Versuch nicht gelungen war, weil das Netz einfach immer mitwanderte ging jetzt zusammen mit einem anderen Schiff natürlich ganz leicht und so waren wir ganz plötzlich wieder frei.

Doch halt mal! Was heißt da frei? Die Spirit an der Kette in Portugal, Schadenersatzforderungen, Aufnahme des Falles durch die Polizei? Dieser Alptraum ging mir jetzt durch den Kopf, als die rettende Idee kam. Ich glaube es war Angela, die als erste darauf kam, den Fischern erstmal was zu trinken anzubieten. Und so wanderte der ob meiner i. a. restriktiven Haltung gegen Alkohol an Bord sehr beschränkte Vorrat an Spirituosen zunächst an Deck der Spirit und dann mit einem beherzten Wurf auf das Deck des Fischers. Doch O Weh die erste Flasche Calvados zerschellte am Aufbau des Kutters. Nichtsdestotrotz waren die Gesichter der Fischer schon viel zufriedener und dann passierte plötzlich das, wovon ich heute noch nicht weiß, ob das einfach portugiesische Lebensart ist, oder ob diese Fischer wegen irgendwelcher übertretener Fischereivorschriften vielleicht selbst ein schlechtes Gewissen hatten: Im Austausch für unsere Flaschen kamen ein paar große Thunfische auf unser Deck geflogen, und die Fischer verabschiedeten sich mit einem freundlichen Winken.

Alles in allem haben wir bei diesem Vorfall natürlich doppelt Glück gehabt: Einmal, daß die Fischer so nett waren uns ohne Komplikationen weiterziehen zu lassen und zum anderen daß das Ganze bei fast völliger Windstille und ruhiger See passiert ist.

Nach diesem Erlebnis waren wir alle ein wenig erschöpft, besonders Norbert und ich, weil wir die letzten 4 Stunden mit der Sache "befaßt" waren. Deshalb und weil immer noch kaum Wind war, setzen wir nicht sofort wieder Segel, sondern motorten ein Stück, bis uns gegen Mittag ein leichter NE Wind beschert wurde.

Am 1. Oktober liefen wir schließich gegen 9 Uhr in der Marina Puerto Sherry ein, also noch zwei Tage vor dem von der Regattaleitung gesetzten Termin. Ein bißchen Stolz kam da schon auf, daß wir diesen ersten Abschnitt in der geplanten Zeit trotz all der kleinen und größeren Pannen mit dem neuen Schiff geschafft hatten.

 

In Puerto Sherry

Nachdem ich uns in der Marina angemeldet und für die ersten zwei Tage Liegegebühr bezahlt hatte (der Rest war in der Startgebühr zur Regatta schon enthalten), verholten wir zum zugewiesenen Liegeplatz und entspannten uns erstmal. Der Hafen ist sehr groß und "ultramodern". Vom Stromanschluß bis zum Telefon- oder Fernsehanschluß ist alles zu haben, was das Leben leichter und vor allem die Marinagesellschaft reicher macht. Allerdings muß ich trotz meiner allgemeinen Abneigung gegen Marinas zugeben, daß es auch mal ganz angenehm war, ganz ohne irgendwelche Bedenken von Bord zu gehen, weil man wußte, daß das Schiff hier auch ohne Besatzung wirklich gut aufgehoben war. Rings um uns lagen nun all die großen und kleinen Yachten, die sich wie die Spirit in einer Woche aufmachen sollten, um auf den Spuren des großen Columbus über den Atlantik zu den Bahamas zu segeln. Der ganze Steg, an dem wir lagen, war reserviert für die Teilnehmer der America 500, und wir hatten in der folgenden Woche Zeit, erste Kontakte zu all diesen Individualisten zu knüpfen, die wie wir auf so vergleichsweise kleinen Fahrzeugen die Weltmeere bereisen.

Von dem beflügelten Wort "auf den Spuren des Columbus" muß man freilich einige Abstriche machen, denn die moderne Technik hilft auf den meisten modernen Yachten inclusive unserer Spirit kräftig mit, das Semannsleben einfach und komfortabel zu machen. Es gibt wohl kaum eine Yacht, die nicht mit GPS und sonstigen elektronischen Hilfsmitteln ausgerüstet sind. Viele haben wie wir auch ein Radargerät an Bord, Wetterkartenschreiber, Laptops, kurz alles, was modern und teuer ist findet man auf diesen Yachten. Kühlaggregate, zumeist auch mit Tiefkühltruhen gehören zur Standardausrüstung. Es war schon eine imposante Ansammlung von Millionenwerten, die hier im Hafen herumschwamm. Nachdem wir uns alle ein wenig umgeschaut hatten, und ich uns auch bei der Regattaleitung angemeldet hatte, machten wir erstmal gründlich Reinschiff. Angela beschäftigte sich mit unserer privaten Wäsche, die Polsterschonbezüge und Tischdecken gaben wir aber doch in die gegenüber liegende Wäscherei.

Noch am selben Tag kamen Oliver und Tony von der Regattaleitung an Bord, um die obligatorische Sicherheitsüberprüfung der Spirit durchzuführen. Beide waren sehr angetan von dem Schiff, und es gab wie erwartet keine wesentlichen Beanstandungen. Besonders überrascht waren die beiden von den als wasserdichte Schotten ausgebildeten Türen zu den vorderen Kabinen. So etwas findet man auf Yachten dieser Größe noch nicht oft. Lediglich der fehlende Radarreflektor wurde bemängelt. Diesen sollte ich noch vor dem ersten Start besorgen.

Diverse Reparaturen und Wartungsarbeiten waren für die nächsten Tage angesagt: An verschiedenen Stellen mußte das Holz neu lackiert werden und auch die weiße Farbe auf dem Aulminiumdeck hatte Blasen geworfen und wurde erneuert. Ich rudertee die beschädigten Segel mit dem Dinghi zum Segelmacher. Norbert hatte u. a. den Auftrag erhalten, das Lager der Radarantenne, sowie die Ankerwinde zu fetten. Er beeilte sich sehr, mit seiner Liste durchzukommen, um danach endlich freie Zeit für Landgänge zu haben. Die Gasflaschen hätten wir eigentlich auch wieder füllen lassen müssen, aber da wir dazu erst wieder nach Sevilla hätten fahren müssen, beschlossen wir unsere Flaschen mit einem ausgeliehenen Adapter aus einer Campinggasflasche zu befüllen,. Auf Madeira sollte das Nachfüllen dann laut Regattaleitung problemlos möglich sein.

Zig Besorgungen von irgendwelchen speziellen Kleinteilen waren für mich ohne Spanischkenntnisse immer wieder ein kleines Abenteuer, denn Englisch spricht in Spanien fast keiner.

Neben all den Kleinigkeiten die in diesen Tagen zu erledigen waren, blieb natürlich auch noch genügend Zeit, Kontakte zu den anderen Seglern zu knüpfen. Sehr anregend waren immer die abendlichen Besuche bei Emilio, Besitzer der gleichnamigen Bar in Puerto Sherrry. Emilio ist einer der wenigen Spanier, die perfekt Englisch sprechen.

Jeden Abend ist bei Emilio irgendwas los, Mal war es nur eine Cocktailparty, mal wurde eine große Paella oder eine Flamenco-Vorstellung geboten.

Fast jeden Abend war von der Regattaleitung irgendeine Party angesagt und dort wurde kräftig Seemannsgarn gesponnen und man tauschte Erfahrungen aus. Viel zu erzählen hatte auch Bill Butler, ein bekannter amerikanischer Segler, der mit seiner Frau nach einer Walattacke insgesamt 66 Tage in einer Rettungsinsel verbracht hatte. Seine neue Yacht heißt denn auch sinnigerweise "New Chance".

Zu den von der Regattaleitung organisierten Highlights gehört auch eine Stadtrundfahrt durch Porto Santa Maria mit anschließendem Besuch einer Bodega, in der wir einiges über die Herstellung von Weinen und insbesondere Sherry erfuhren.

Die meisten Teilnehmer der Regatta waren Amerikaner, aber in dieser internationalen Gemeinschaft segelten auch Engländer, Finnen, Schweden, Spanier, Slowenier, Holländer Franzosen, Kanadier u. a. mit. Auch eine argentinische Yacht war dabei, die jedoch nicht bis zum Ende mitsegelte, doch davon später mehr.

Besonders zu erwähnen ist vielleicht die 75 Fuß lange "With Integrity", eine Rennyacht, die mit Chartergästen segelt und von "Rosi" geskippert wird. Rosi ist eine echte Profiskippperin und für sie ist so eine Atlantiküberquerung nichts neues mehr. Allein im kommenden Jahr würde Sie das viermal auf verschiedenen Routen durchspielen. Die Integrity ist in Racerkreisen schon ein Veteran. Schon mehrfach ist sie beim Withbread Race um die Welt mitgesegelt. Irgendwo war das schon imponierend, wie diese kleine Frau bis zu 18 überwiegend männliche Chartergäste auf diesem Maxiracer auch auf langen Reisen fest im Griff hatte.

Wo wir bei den Flaggschiffen der Flotte sind, muß auch noch die in der Regatta konkurrenzlose finnische Yacht "Runn" erwähnt werden, die als hochmoderner Racer von 81 Fuß Länge allen anderen Yachten der Flotte spielend davon segelte. Carbonfaserverstärkter Rumpf in Wabenstruktur, Kevlarsegel, ein riesiger Mast, Coffeegrinder-Winschen und eine Profi-Crew machten diese Yacht zu einem Extrem, das eigentlich gar nicht so recht zu dieser Fahrtenseglerflotte paßte.

Nicht durch Größe oder moderne Technik, sondern vielmehr durch die Crew fiel die kleine italienische Yacht "Salt Dragon" auf. Da hatte sich eine sympatische Vierercrew bestehend aus drei Frauen und einem Mann als Skipper zusammengefunden. Vom menschlichen Standpunkt schien der gute Mannn sein Paradies auf dem Wasser gefunden zu haben. Vom seglerischen Standpunkt wußte man nicht so recht, was davon zu halten war, wenn ein Skipper, der selbst nicht sehr viel Erfahrung hat, sich für so eine Fahrt eine vom Segeln absolut ahnungslose Crew sucht. Immerhin wollten wir alle ja eine ganz ordentliche Strecke segeln und wenngleich wir das in einem der angenehmsten Seegebiete taten, die man sich für so ein Vorhaben denken kann, ist die See doch immer für ein paar Überraschungen gut.

Eine wunderschöne Yacht war auch Johns "Lindisfarne", eine fast noch neue 48 Fuß Yacht mit sehr gefälligen Linien und einem Spitzgattheck. Lindisfarne's Jungfernfahrt war ein Törn rund um den Atlantik, den John zusammen mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar schon im Frühjahr begonnen hatte. Sie waren zunächst über die Azoren ins Mittelmeer gesegelt, wo sie u.a. die Balearen erkundeten. Nun lagen sie auch hier in Puerto Sherry, um zusammen mit der America 500 Flotte die Rückreise zu beginnen.

Schräg gegenüber lag die "Barnacle", ein behäbiger Motorsegler mit einer Crew bestehend aus dem angeheuerten Skipper und dem Eignerehepaar. Die beiden hatten sich einiges vorgenommen: Sie waren noch nie gesegelt und wollten nun gleich mit einer weiten Reise beginnen.

Natürlich waren da noch viele andere Segler, die gleichermaßen interessant wären, aber das würde hier den Rahmen sprengen, und so will ich es bei dieser kleinen Auswahl von Yachten, mit deren Crews oder Skippern ich selbst im Laufe der folgenden Reiseabschnitte etwas mehr Kontakt hatte belassen.

Etwa alle zwei Tage hatte ich vom Marinatower aus ein Telefongespräch mit Edgar, der natürlich sehr neugierig war, wie es vor Ort so aussah. Auch die Sache mit unserer SSB-Anlage hatte ihm keine Ruhe gelassen, und er vermutete nach Rücksprache mit den Spezialisten von Raytheon, daß es ein Antennenfehler sein könnte. Wir sollten doch mal provisorisch das Antennenkabel mit weiterem Abstand zu allen Metallteilen des Rumpfes verlegen. Wenn das etwas brachte, wollte Edgar die zum Umbau der Antenne notwendigen Teile nach Las Palmas mitbringen.

Bei den Tests mit der veränderten Antennnenzuleitung ging dann der Wandler, der das SSB Gerät mit 12 Volt (die Spirit hat sonst ein 24 V Netz) versorgt, kaputt und zwar tat er das fatalerweise so, daß er die volle Bordnetzspannung von 24 V auf das SSB Gerät losließ. Dieser Vorgang blieb, wie schon bei der Erstinstallation, nicht ohne Folgen, und so mußten wir das SSB Gerät fortan wieder aus der Liste unserer elektronischen Hilfsmittel streichen. Edgar war natürlich genausowenig begeistert wie ich, als ich ihm das Malheur bei unserem nächsten Telefonat mitteilte. Das Ereignis hat wohl den letzten Ausschlag bei Edgars Entscheidung gegeben, uns während des Aufenthalts in Huelva kurz zu besuchen. Er hatte nun vor, dabei die ganze SSB Anlage auszubauen und in Amerika in Ordnung bringen zu lassen. Wenn alles klappen würde, sollten wir dann für die Atlantiküberquerung endlich eine funktionierende Funkanlage haben.

Vor allem Friedo wurde nun schon wieder ungeduldig; ihm dauerte die Hafenliegezeit schon viel zu lange.

Erster Regattakurs - von Puerto Sherry nach Huelva

Wie von der Regattaleitung vorgesehen ging es am 9. 10. endlich weiter oder besser eigentlich ein Stück zurück nach Huelva, einer mittleren Stadt in der Nähe des Dorfes Palos, wo Columbus einst zu seiner Entdeckerfahrt gestartet war. Dies war die erste Regattastrecke der America 500. Ausgeschrieben war sie jedoch als sogenanntes Fun Race, das nicht in die Gesamtwertung mit einging.

Der Start, den ich da fuhr war wohl absolut der miserabelste, den man sich vorstellen kann. Es fing damit an, daß meine Zeiteinteilung beim Anlaufen der Startlinie etwas zu geruhsam war. Das äußerte sich darin , daß wir mit der Spirit nach dem Startschuß bei sehr schwachem Gegenwind noch eine geschlagene Viertelstunde brauchten, bis wir an der Ziellinie waren. Zu allem Überdruß standen wir dann mit der Spirit auch noch soweit an der Außenseite der Startlinie, daß wir noch einmal aufkreuzen mußten, um die Startboje auf der richtigen Seite zu runden und von den Untiefen unter Land freizukommen. Von einem Gedrängel an der Startlinie haben wir jedenfalls nichts mitgekriegt. Lediglich ein einziges Schiff war am Start noch hinter uns.

Angela konnte diese Meisterleistung des Skippers am Start leider nicht mitverfolgen, da Ralf lautstark auf sein Recht nach Versorgung pochend sie wieder einmal unter Deck festhielt.

Nach dem Start konnten wir durch wohlüberlegte Kreuzschläge (unsere Taktik wurde maßgeblich von Friedo, der voll im Regattafieber war, mitgeprägt) immerhin einige Yachten wieder hinter uns lassen, jedenfalls solange, bis diese die Maschine anwarfen und uns mit killenden Segeln davon motorten. Wir blieben aber eisern, denn obwohl der Gebrauch der Maschine in der Cruising Class, in der auch wir segelten, erlaubt war, sah ich es gar nicht ein, schon jetzt das Handtuch zu werfen. Schließlich segelten wir Regatta. Für die Benutzung der Maschine wurden zwar Strafzeiten angerechnet, aber die Regattaleitung war dabei natürlich vollkommen auf die Ehrlichkeit der Teilnehmer angewiesen. Und damit war es teilweise leider nicht sehr weit her,- einige schlichen sich listig mit Maschinenkraft gerade so schnell vorwärts, daß das Killen der Segel von weitem nur schwer auszumachen war. Schwer zu glauben, daß diese Kameraden ihre Motorstunden später ehrlich angegeben haben. Aber was soll's, wir wollen das nicht so verbissen sehen. Das gilt eigentlich für die ganze Crew, mit Ausnahme vielleicht von Friedo.

Der Rest der 45 sm ist schnell erzählt: Am frühen Nachmittag kam dann doch noch eine ganz annehmbare Brise aus West auf, die uns flott Richtung Rio de Huelva schob.

Beim Einlaufen in den Fluß unterlief mir dann noch ein zweiter Regattafehler, von dem wir erst bei der Preisverleihung erfuhren. Das kam so: Wir kamen nahezu auf gleicher Höhe mit der Pirate rein, die ich natürlich gerne noch ausstechen wollte. Dabei gab es nur ein Hindernis: Da war recht voraus kurz vor der Einfahrt in den Fluß eine W-Kardinaltonne, die wir auf diesem Bug unmöglich auf der richtigen Seite lassen konnten. Ein Kreuzschlag so kurz vor dem Ziel hätte uns aber mit Sicherheit hinter die Pirate zurückgeworfen, die genügend weit in Luv stand. Also warf ich einen kurzen Blick auf die Karte und stellte fest, daß die Wassertiefe in diesem gesamten Gebiet noch 8 m betragen sollte, nach dem Ostrand hin flach ansteigend.

Also Kurs halten und ab über die Ziellinie! Tatsächlich haben wir die Pirate dann auch noch "naß gemacht" und waren mächtig stolz auf unser Kopf an Kopf-Rennen. Soweit so gut, aber was war nun der Fehler, wird der geneigte Leser fragen. Dazu später mehr. Erstmal segelten wir bei einbrechender Dunkelheit den Fluß hinauf bis zur Reede von Huelva. Während alle anderen relativ schnell die Maschine anschmissen , um zum Liegeplatz zu eilen, genossen wir das nächtliche Einlaufen unter Segeln. Lautlos glitten wir langsam vorbei an dem durch Scheinwerfer angestrahlten Columbusmonument an der Abzweigung zum Rio Odiel. Auf der Reede angelangt, warfen wir in aller Ruhe unseren Anker und das war's.

Für den nächsten Tag erwarteten wir zum Einen Edgars Besuch und zum Anderen Andrea, die für die Strecke bis zu den Kanaren als Ersatz für Werner an Bord kommen sollte. Ich hatte tagsüber schon über Funk bei Ihr angerufen, um Ihr nochmal Einzelheiten zu unserem Liegeplatz mitzuteilen.

Für die Landgänge in den nächsten Tagen hatte die Regattaleitung ein paar Hafenbarkassen organisiert, die mehr oder weniger regelmäßig die Runde durch die auf Reede liegende Yachtflotte machten.

Das war zwar gut gemeint und für uns sogar sehr wichtig, da der Weg an Land mit unserem nichtmotorisierten Dinghi bei bis zu 3 kn Strom doch sehr ermüdend gewesen wäre. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe diesbezügliche Erfahrungen mit einem Gummiboot auf dem ganz ähnlichen Hamble River in Südengland. Das Problem mit dem Shuttle Service war nur die enorme Wartezeit, bis man endlich mal eins von diesen Wassertaxis zum Schiff lotsen konnte. Die armen Barkassenführer hatten mit über 70 Anfahrtzielen ja auch reichlich zu tun.

Edgar traf gegen Mittag mit einer der Barkassen ein und schien wirklich zufrieden zu sein, sein Schiff auf diesem historischen Ankerplatz wohlbehalten wiederzusehen.

Leider war der Ankergrund nicht besonders gut und so wollte ich das Schiff hier nur ungern allein lassen. Da außerdem am Abend Andrea kommen wollte, mußte ich auf die Teilnahme an der Preisverleihung für die erste Teilstrecke verzichten. Einen Preis hatten wir ja ohnehin nicht zu erwarten.

Der Rest der Crew ging zusammen mit Edgar dort hin , während ich an Bord auf Andrea wartete, die dann so gegen 21 Uhr an Bord kam. Die Zeit verging schnell an diesem Abend, während wir uns die Neuigkeiten der letzten Zeit erzählen. Andrea hatte u. a. viel zu erzählen von einem Island Törn, den Sie im Vorjahr auf einer englischen Schulyacht unternommen hatte.

Als der Rest der Crew zurückkam, war Friedo immer noch stinksauer,- wir waren disqualifiziert worden, weil ich diese blöde Kardinaltonne auf der falschen Seite gelassen hatte. Wie?! Kann doch gar nicht sein, davon steht nichts in den Regeln! meinte ich felsenfest überzeugt von der Richtigkeit dieser Behauptung. Außerdem hatte Friedo sich fürchterlich über einen Teilnehmer aufgeregt, der die Dreistigkeit besessen hat, seine Motorstunden an diesem Tag mit 2 Minuten!! anzugeben. Wie gesagt, mit dem Sportsgeist mancher Yachties hier es wirklich nicht weit her. Bald nachdem ich Andrea kurz vorgestellt hatte, verzogen wir uns in die umverteilten Kojen. Friedo teilte von nun an zwangsläufig die Koje mit Norbert, was gar nicht ideal war, aber es war so immer noch die beste Lösung.

Am nächsten Tag sprach ich gleich bei Toni vor, um ihn zu fragen, wie er denn auf die Idee gekommen war, uns zu disqualifizieren. Dabei zeigte er mir tatsächlich die Passage in den Regeln, die besagte, daß die bewußte Tonne westlich zu umfahren war. Sie stand unter "Course" im Reglement. Diesen Absatz hatte ich in der Tat immer überlesen. Wozu sollte man auch eine Kursanweisung für eine so klare Strecke lesen, hatte ich als eingefleischter Fahrtensegler gedacht. Ich nahm das Ganze im Gegensatz zu Friedo gar nicht so ernst, erklärte mich aber gerne bereit, der Crew zu einem späteren Zeitpunkt zwei Flaschen Sekt für diesen Faux pas zu spendieren.

Einen Tag vor dem Start zur nächsten Etappe nach Porto Santo im Madeira Archipel war von der Regattaleitung ein Ausflug für die Skipper eingeplant, der uns zu verschiedenen historischen Stätten führte, an denen Columbus kurz vor seiner Abreise gewesen ist. Trotz der knappen Zeit, die wir für den Ausbau der Funkanlage hatten, nahmen Edgar und ich an dieser Exkursion teil. U. a. wurde ein symbolisches Skippers Briefing im Kloster La Rabida in dem selben Raum abgehalten, in dem auch Columbus 500 Jahre zuvor am Tag vor seiner Abreise seine Schiffsführer instruiert hatte. Ein Padre erzählte uns einiges über die unmittelbare Vorgeschichte von Columbus' erster Reise.

Anschließend durften sich alle Eigner und Skipper in einem dicken Buch verewigen, das im Innern des Columbusmonuments ausliegt.

Am Columbusdenkmal merkte ich, daß es wieder etwas aufgebrist hatte und schon waren meine Gedanken wieder beim Schiff, das immerhin auf schlechtem Ankergrund lag, was uns am Vortag einige an uns vorbeitreibende Yachten bewiesen hatten. Zwar hatten wir inzwischen beide Anker verkattet, aber bekanntlich gelten in der Segelei mehr als irgendwo sonst Murphy's Gesetze. So kam es, daß mir die ganze Warterei vor dem Columbusdenkmal, bis ich endlich in dem Buch unterschreiben durfte, ziemlich auf die Nerven ging.

Nach endlos scheinender Zeit war der Bus wieder abfahrbereit und als unsere Flotte in Sicht kam, schien die Spirit zwar zumindest ungefähr noch auf Position zu liegen, doch hatte Sie offenbar einen Längsseitslieger bekommen.

Beim Aussteigen aus dem Bus berichtete Toni mir auch gleich, daß die Salt Dragon treibenderweise bei uns angelegt habe, aber anscheinend hatte meine Crew wieder mal alles im Griff. Ich bekam das Vorrecht auf ein Wassertaxi und konnte so relativ schnell wieder an Bord kommen. Im Näherkommen sah man dann, daß wir sogar zwei Nachbarn bekommen hatten: Die Salt Dragon die mit ihrem Bug an unserem Heck lag und dort gerade von Norbert abgehalten wurde und die 24 Fuß kleine Yacht Eol aus Slowenien, die an unserer Bb Seite angedockt hatte. Da auf der Salt Dragon zur Zeit niemand an Bord war, drehte ich sie in den Strom und nahm auch sie längsseits, wo man sie besser abfendern konnte. Unsere Anker schienen gut zu halten und so bestand im Moment eigentlich kein Grund zur Beunruhigung. Eine Verständigung mit dem slowenischen Einhandsegler auf der Eol war nicht ganz so einfach. Da sein Anker unter unserer Kette lag, war er im Augenblick etwas ratlos und wollte wohl sogar in dieser Brühe tauchen. Da ich das für völlig unnötig hielt, überzeugte ich ihn, mir doch seine rostige Ankerkette hochzureichen, wo ich sie einfach einmal um unsere Kette törnte. Anschließend holten wir seinen kleinen Anker hoch und reichten ihn wieder runter. - Immer angenehm, wenn Probleme sich so einfach lösen lassen. Einige Zeit später kam auch die Crew der Salt Dragon wieder an Bord und wunderte sich natürlich sehr, daß wir plötzlich im Päckchen lagen. Der Skipper löste das Problem auf etwas eigentümliche Weise. Ich faselte zwar noch etwas von neu ankern, weil der Anker nur im Augenblick mal wieder zu halten schien und wir nun auch zu dicht beisammen lagen. Aber er war wohl anderer Meinung und vergößerte den Abstand zwischen uns einfach dadurch, daß er noch etwas von seiner Kette einholte. Naja ist auch ne Möglichkeit, wenn auch die Haltekraft seines Ankers dadurch nicht positiv beeinflußt wird.

Ralf verunfallte an diesem Nachmittag während seiner Turnstunde am Steckschott: Bei seinen ungestümen Bewegungen "biß" er irgendwann so heftig ins Holz, daß er aus dem Mund blutete. Glücklicherweise war es doch nicht so schlimm, wie es anfänglich aussah, aber die Kante des Steckschotts wurde von nun an vorsichtshalber immer mit einem Handtuch als Polster versehen.

Irgendwie bekam Ralf an diesem Tag auch einen neuen Spitznamen: Er hieß von jetzt an auch "El Capitano".

Gegen Abend fingen schließlich unsere Anker an zu slippen, und nun fuhren auch wir auf dem Fluß hin und her und ankerten hier und dort, bis wir endlich wieder zur Ruhe kamen. Die Spirit wollte halt anscheinend wieder auf's Meer hinaus.

 

2. Regattakurs, - von Huelva nach PortoSanto

Die SSB Anlage befand sich inzwischen in Edgars Gepäck und für den Morgen des Starttages war in Anlehnung an Columbus' Abreisezeremonie ein symbolischer Gottesdienst geplant, den ich jedoch nach den Ankererlebnissen des Vortages Edgar allein überließ (wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch gar keine Lust, noch in die Kirche zu gehen).

Die Flotte sollte in einer Parade ab 15 Uhr in Formation Kiellinie (würde es bei der Marine heißen) am Columbusdenkmal vorbeifahren. Also begannen wir um 1430 unsere Anker zu hieven, was mit unseren beiden verkatteten Ankern schon seine Zeit dauerte. Als wir die Anker an Deck hatten, machten uns bei langsamer Fahrt auf den Weg zum Denkmal. Edgar hatte einen Platz auf dem "Committe Vessel" ergattern können und hatte so die Möglichkeit, seine Spirit noch einmal zu verabschieden.

Wie ich schon geahnt hatte, dauerte es doch viel länger als geplant, bis alle Yachten so in die Puschen gekommen waren und so mußten wir ein Stück vor dem Denkmal erstmal warten. Der Start verzögerte sich dadurch um eine Stunde auf 1630. Wir gingen als drittes Schiff nach der Runn und der With Integrity an dem vor Anker liegenden Committee Vessel vorbei und die ganze Crew postierte sich nochmal an Stb. um Edgar zu grüßen. Freilich sahen wir in unseren ausgefransten Klamotten nicht ganz so elegant aus, wie die Crew der Runn, die ganz in weiß gekleidet auch "Front nach Stb" machte. Nach der Parade warteten wir in der Flußmündung vor Anker und nutzten die Zeit, um für den erwarteten leichten Wind mal unsere neue Beilken Genua zum Setzen vorzubereiten. Um 16 Uhr begannen wir, den Anker zu hieven, doch die Winde fing nach kurzer Zeit so furchtbar zu heulen an, daß wir den letzten Rest Kette schließlich von Hand einholten. Wir schaffen es gerade noch, rechtzeitig zum Regattastart fertig zu sein. Später stellten wir fest, daß sich nur der Durchflußregler der Ankerhydraulik soweit verstellt hatte, daß es zu dem gefährlich klingenden Geräusch gekommen war.

Nach meinem eigenen Fiasko beim ersten Regattastart, hatte ich Friedo versprochen, daß er den nächsten Start fahren durfte. Er machte das in der Tat richtig professionell, wir waren unter den ersten, die über die Linie gingen. Die Runn schoß sehr knapp von achtern an uns vorbei, sodaß man denken konnte, wir selbst stünden wohl auf der Stelle. In einem waghalsigen Manöver raste sie flugs durch eine Lücke dicht vor uns, die kaum breiter war, als die Runn selbst. Bald nach diesem spektakulären Flottenaufbruch kehrte wieder die gewohnte Ruhe auf See ein. Ich ging jetzt mit Friedo Wache, während Andrea als Wachführerin mit Norbert fuhr.

Die ersten Tage waren sehr flau, und wir fielen immer weiter zurück, bald schon bekamen wir über UKW keine andere Yacht der America 500 mehr an die Strippe.

Am dritten Tag begann der Wind von Süd langsam rechtzudrehen und zuzunehmen. Wir blieben noch eine ganze Weile auf Stb-Bug, um Raum nach Westen gutzumachen. Denn wenn der Wind wie erwartet auf NW drehen würde, konnten wir nachher, vorausgesetzt wir standen genügend weit im Westen, den Kurs nach Porto Santo direkt anliegen. Friedo hatte natürlich wieder mal seine eigene Taktik, er wollte in Erwartung der Winddrehung gleich auf halben Wind abfallen um mehr Fahrt zu machen. Da keinem von uns diese Theorie einleuchtete, blieben wir erstmal weiterhin auf Am-Wind-Kurs.

Gegen 1 Uhr am 16. 10. war es dann soweit, der Wind hatte sich auf WNW 4-5 eingependelt, und so gingen wir auf Bb-Bug und lagen nun wieder auf direktem Kurs nach Porto Santo.

An diesem Tag stellte ich bei einer Inspektion des Ruderquadranten fest, daß sich dort die Befestigungsschrauben des Jochs für den Autopiloten gelockert hatten. Eine Schraube war durch das dauernde Verkanten bereits gebrochen. Ich zog die 3 verbliebenen Schrauben wieder fest und wir mußten von jetzt an die Ruderanlage genauer beobachten.

Das Wetter war sehr durchwachsen, Böen von Stärke 5-6 wechseln sich ab mit Regen und fast Windstille. Am 17. 10. erlebten wir alle dann (bald nachdem eine Kaltfront gleich zweimal über uns hinweggezogen war) ein Naturschauspiel, das auch ich bis dahin noch nie in Natura gesehen hatte: Eine Wasserhose kam direkt auf uns zu. Friedo war gerade am Ruder und zunächst war gar nicht klar, ob sein Schreckensruf wieder einer seiner weniger guten Scherze war, oder ob er es ernst meinte. Ich muß zugeben, daß mir doch der Atem stockte als ich aus der eben noch so sicher scheinenden Kajüte nach oben kam und dieses Ungetüm auf uns zudonnern sah. Seine gleich gestellte Frage "Was soll ich nur machen" hatte Friedo sich inzwischen schon selbst ganz richtig beantwortet. Die Antwort hieß, quer zur Zugrichtung, also mit Halbwindkurs ausweichen. Ich ließ die Maschine kräftig mitschieben, und mir fiel auf die Schnelle noch ein, die Steckschotten schließen zu lassen. Viel Ideen hatte ich nicht mehr, ansonsten sah ich das Ding wie gelähmt auf uns zukommen, und in der darauffolgenden von Friedo über meinen Befehl, die Segel wegzunehmen, angezettelten Diskussion war ich selbst einfach zu unsicher um mich durchzusetzen. Beide Ideen hatten natürlich etwas für sich: Unter Segeln und Maschine konnten wir etwas größere Fahrt laufen, aber mit geborgenen Segeln hätten wir im Ernstfall eine bessere Überlebenschance gehabt. Alles ging auch so verdammt schnell und noch während ich selbst ein wenig von dem Schreck gelähmt grübelte, was wohl besser sei, schien es mir so auszusehen, als ob das Ding klar hinter uns vorbeiziehen würde. Angela und Andrea begannen unter Deck noch einige Sachen sicherer zu verstauen und Ralf in seinem Sitz anzuschnallen, doch dann war die Wasserhose auch schon tatsächlich hinter uns durchgezogen.

Etwa eine halbe Meile hinter uns riß der dunkle Schlauch zum Himmel plötzlich ab, und die bestimmt 20 m hohe Säule von aufgewirbeltem Wasser begann sich zu senken.

Dieses Erlebnis war für meine Begriffe schon geeignet, einem wieder mal gehörigen Respekt vor den Naturgewalten einzuflößen. Ich sage das ganz offen, auch wenn Friedo die Sache natürlich mit den Worten verharmlosen mußte "die sind gar nicht so gefährlich". Er hatte als einziger auch die Nerven gehabt, ein Photo von der wasserhose zu schießen.

Am 17. 10. vermerkt das Logbuch um 1630 Uhr "Porto Santo Stb voraus in Sicht", doch da die Insel recht hoch ist und die immer wieder drehenden schwachen Winde uns nicht so recht vorwärts bringen wollten, dauerte es vom Insichtkommen bis zum Einlaufen noch 12 Stunden. Die Ziellinie fanden wir beim ersten Anlauf, und nachdem diesmal alles nach den Regatta-Reglements abgelaufen war, machten wir um 4 Uhr morgens längsseits an der "With Integrity" fest. Unsere Zeit war gar nicht so schlecht, immerhin hatten wir den zehnten Platz in der Gesamtwertung der Cruising Class erreicht.

Kurz hinter uns lief die "Pirate" ein, die vor der Einfahrt noch ein Mann über Bord Manöver fahren mußte, das glücklicherweise ohne Probleme klappte. Ein Crewmitglied war beim Segelbergen ausgerutscht und über Bord gefallen.

Überhaupt erfuhren wir schon kurz nach dem Festmachen, daß es auf der Überfahrt noch mehr Probleme gegeben hatte. Alle redeten von einem Sturm, und wir wußten gar nicht so recht, wo der gewesen sein soll. Bis auf die Begegnung mit der Wasserhose, die noch glimpflich abging, hatten wir eigentlich keine außergewöhnliche Überfahrt gehabt. Vielleicht haben wir auch durch unseren relativ weit nördlichen Kurs das Zentrum des Sturms umgangen. Wie dem auch sei, zwei spektakuläre Zwischenfälle hatten sich unterwegs ereignet: Die argentinische Yacht Mona Rosa hatte einen schweren Wassereinbruch, nachdem das Ruder aus dem Rumpf gebrochen war, und bei der Peryton, einer Yacht mit unverstagtem Wishbone Rigg fehlte jetzt der Mast. Die Peryton lag direkt hinter uns. Die Crew der Mona Rosa saß nun neben uns auf der "With Integrity" , die insgesamt 30 Stunden in Standby bei der havarierten Yacht gewartet hatte, bevor der Skipper sich entschloß das Schiff aufzugeben. Wie sich bald zeigen sollte, hatte Rosi ganz recht mit ihrer Meinung, daß die Aufgabe unnötig war, denn die Mona Rosa konnte wenig später von anderen Seglern noch nach Funchal gesegelt werden.

Bei uns an Bord hatten sich leider in den letzten Tagen die Spannungen zwischen Norbert und Friedo verschärft, sodaß Norbert am liebsten schon hier in Porto Santo von Bord gehen wollte, wenn Friedo weiter an Bord bleiben würde. Ich muß selbst zugeben, daß Friedo eine etwas unreife Art an sich hatte, die einfach manchmal nervte, aber ich redete Norbert mit Erfolg doch nochmal gut zu, bis zu den Kanaren mitzukommen.

 

Auf Madeira

Mit einem kurzen Fun-Race von 37 sm ging es am 19. Oktober weiter zu der wunderschönen Insel Madeira. Das Wetter war herrlich und das über 2000 m hohe Ziel war schon beim Start so deutlich zu sehen, daß man die Strecke für einen Katzensprung halten konnte, was sie natürlich im Vergleich zu unseren bisher gesegelten Strecken auch war. Mein Start klappte diesmal gut, wir rauschten bei halbem Wind zügig durchs Wasser bis wir in die Landabdeckung von Madeira gerieten. Das letzte Stück wurde motort, weil gar nichts mehr ging und außerdem das Land lockte.

Unser Liegeplatz an der Kaimauer im Handelshafen war wegen des Schwells zwar nicht ideal, aber die Regattaleitung hatte für die größeren Yachten keine Plätze in der kleinen Marina mehr bekommen können.

Schon beim Vorbeisegeln an dieser Insel hat man den Eindruck in ein Paradies zu kommen, und so entschlossen Angela und ich uns, für einen Tag ein Auto zu mieten um ins Landesinnere zu fahren.

Das Füllen der Gasflachen war von der Regattaleitung gut organisiert und auch sonst gab es nur ein paar Kleinigkeiten am Schiff zu tun, sodaß wir Zeit zu ausgiebigen Landgängen hatten.

Das Auto für unseren Landausflug konnten wir gleich vom America 500 Office aus mieten. Die Crew fuhr am gleichen Tag mit den vom Regattaveranstalter organisierten Bussen los, um die Insel zu erkunden.

Nachdem der Autositz, auf dem Ralf sonst im Salon zu "dinieren" pflegte, im Auto untergebracht war, machten wir uns, geleitet von einer kleinen Übersichtskarte auf den Weg, um zunächst mal aus der Stadt zu kommen.

Die Landschaft Madeiras ist einfach wunderbar, und sogar das Autofahren macht auf diesen schmalen Bergstraßen, die sich in engen Kurven bergauf und bergab schlängeln, richtig Spaß. Unser Weg führte uns mal durch üppige Wälder, dann wieder vorbei an riesigen Bananenpflanzungen. Gegen Mittag fanden wir irgendwo in der Landschaft ein kleines Restaurant, in das wir einkehrten, um uns und unseren kleinen "Capitano" zu versorgen.

Angela hatte für Ralf ein Glas Brei mitgenommen, das im Restaurant bereitwillig gewärmt wurde. Für uns bestellten wir Steaks. Auch hier zeigte sich wieder die enorme Kinderliebe der Portugiesen: Ralf wurde von allen Seiten fast überschwenglich begrüßt und sogar in die Küche entführt, damit die Köchin ihn kennenlernen konnte. Während der Wartezeit konnte ich vom Restaurant aus gleich meinen obligatorischen Anruf bei Edgar erledigen, der natürlich schon neugierig war, wie es seinem Schiff samt Crew in der Zwischenzeit ergangen war. Wie üblich wurde es ein längeres Telefongespräch, aber mein bereits wieder kalt gewordenes Essen wurde nachher prompt nochmal gewärmt.

Frisch gestärkt machten wir uns auf den Weg, um durch das Bergland auf die Nordseite der Insel zu fahren. Während an der Südküste bei strahlendem Sonnenschein nur ein paar Wolken zu sehen waren, fuhren wir hier oben durch Regenschauer und Nebelbänke, wobei es schon merklich kühler wurde. An der Nordküste war es zwar wieder wärmer, aber es blieb feuchter als an der Südküste. Die vorherrschende Nordostwind lädt anscheinend den Großteil seiner Wasserfracht vor den Bergen auf der Nordseite der Insel ab.

An der Küste in S. Vicente entschieden wir uns , auf der Küstenstraße weiter nach Westen zu fahren. Diese Straße ist teilweise sehr schmal und führt durch Tunnel, die man in die Steilküste gesprengt hat. An einigen Stellen gibt es gleich neben der Straße kleine Wasserfälle. Ein paarmal mußten wir in einer der Haltebuchten warten, weil uns ein Fahrzeug entgegenkam . Später erfuhren wir von der Crew, daß hier auch noch die großen Busse fahren, was ich mir heute noch nicht so recht vorstellen kann.

In diesem Zusammenhang fällt mir die nette Anekdote ein, die man sich auf Madeira Zusammmenhang mit den einheimischen Busfahrern erzählt: Eines Tages klopften ein Busfahrer von Madeira und ein Priester nach einem langen Leben gemeinsam an der Himmelstür an, um eingelassen zu werden: Petrus soll den Busfahrer durchgelassen, den Priester aber zurückgewiesen haben. Als letzterer Petrus fragte, warum ausgerechnet er als frommer Priester denn zurückgewiesen würde, erwiderte Petrus: "Sieh, bei dir haben die Leute im Gottesdienst immer nur geschlafen, doch die Fahrgäste dieses Fahrers hier waren immer hellwach und haben gebetet".

In Porto Moniz an der NW-Ecke von Madeira wird die Straße wieder breiter, und wir machten uns nach einem kurzen Aufenthalt wieder auf den Rückweg nach Funchal. Später als erwartet kamen wir wieder im Hafen an, und wir ließen die an diesem Abend geplante Cocktailparty im noblen Funchal Lido lieber ausfallen. Die Eindrücke von dieser großartigen Landschaft wollten erstmal verarbeitet werden, und da hätte so ein gesellschaftliches Ereignis nur gestört. Die ganze Crew war sich einig: Diese Insel ist einen längeren Besuch allemal wert. Ich kann mir vorstellen, daß man sich dort mit Fahrrad und Zelt eine ganze Weile durchs Land schlagen kann, ohne daß es langweilig wird.

Uns aber rief nach einigen Tagen schon wieder die See. Der Start war für den 22. Oktober geplant. Der Hafen war inzwischen auch ungemütlich geworden, da der Schwell noch stärker geworden war. Hinter uns waren schon zwei Yachten mit den Masten zusammengestoßen und die in unserem Päckchen ganz innen liegende Integrity war ein paarmal böse mit der längsseits liegenden Quest zusammengeknallt, sodaß ihr Gelcoat an einigen Stellen abgeplatzt war. Bei uns passierte zwar nichts weiter, da ich alles an Fendern draußen hatte, inclusive der dicken Kugelfender und Wielingtaue. Jedoch hatte ich schon ein etwas schlechtes Gewissen, da auch wir ja zu der Last gehörten, die die Integrity im Schwell unangenehm stark "unter Druck setzte". Aber viel konnte man nicht tun, da es keine anderen Liegeplätze gab und wirklich bedrohlich war die Lage auch noch nicht..

Irgendwann während unserer Liegezeit hier hatte auch der Kühlschrank den Geist aufgegeben: Eines Morgens stank der Salon ganz fürchterlich verbrannt, als ich aus unserer Kabine kam. Zunächst verdächtigte ich ganz zu Unrecht Norbert oder Friedo, hier unter Deck in der letzten Nacht geraucht zu haben, doch dann stellte sich bald heraus, daß die Umwälzpumpe für das Kühlmittel regelrecht verbrannt war. Wir hatten noch Glück gehabt, daß es kein Feuer gegeben hatte, denn in den wasserdicht abgeschotteten Kabinen war von dem Gestank nichts zu merken. So mußten wir in der nächsten Zeit ohne Kühlschrank auskommen, da eine Ersatzpumpe hier so schnell nicht zu bekommen war. Die Pumpe wollte Edgar dann nach Las Palmas mitbringen.

Zwei Tage vor dem Start schwärmte die Crew noch einmal aus, um Proviant zu besorgen. Friedo sollte einen Teil der Getränke besorgen, erlitt jedoch unterwegs einen Anfall mit extrem starken Rückenschmerzen, die ihn zwangen, irgendwo Gymnastikübungen zu machen. Dabei verlor er zu allem Überdruß noch seinen Personalausweis. Er kam schließlich unverrichteter Dinge ohne Brieftasche und unter Schmerzen zurück an Bord, wo er sich gleich wieder hinlegen mußte. Etwas später kamen Andrea und Norbert schwer beladen und verschwitzt (bei Andrea kam die Nässe zusätzlich von einer in ihrem Rucksack geplatzten Wasserflasche) zurück und besonders Andrea war entzückt von dem Gedanken, nun gleich wieder los zu müssen um auch Friedos Part noch heran zu schleppen. Am meisten liebte Andrea unseren Friedo jedoch, als sie vom zweiten Gang wieder zurück kam und er ihr freudestrahlend verkündete, daß es ihm nun schon viel besser ging. Trotz alledem war die von Norbert leise angedeutete Möglichkeit, daß diese Panne von Friedo irgendwie inszeniert worden ist, wohl doch an den Haaren herbeigezogen.

Mit dem verlorenen Ausweis stellte Friedo nun natürlich auch mich vor eine Frage im Zusammenhang mit dem Ausklarieren: "Sag ich's den Behörden, oder sag ich's nicht?". Nach einigem Überlegen entschied ich mich für die letztere Alternative. Da die Pässe glücklicherweise nicht mehr sorgfältig durchgesehen wurden, konnten wir so das Problem bis zu den kanarischen Inseln vertagen, wo Friedo sich ohne großen Zeitdruck um einen neuen Paß kümmern konnte.

 

3. Regattakurs -Von Madeira nach Lanzarote

Wir legten am 22. 10. schon 2 Stunden vor dem für 17 Uhr geplanten Start ab, da ich beim Durchtesten des Hydrauliksystems im Hafen das Gefühl hatte, daß der Schwenkkiel nicht wieder ganz ausgefahren war. Jedenfalls schaltete sich die Pumpe nicht mehr automatisch ab. Daher wollte ich nun außerhalb des dreckigen Hafenwassers mal tauchen, um sicher zu gehen, daß der Kiel ganz ausgefahren war. In der Tat war am Unterwasserschiff alles in Ordnung, und ich stellte nebenbei fest, daß das Schiff noch fast keinen Bewuchs angesetzt hatte.

Die Startlinie war diesmal so gelegt worden, daß der Start noch in der Landabdeckung praktisch vor dem Wind erfolgte. Der Regattaleitung war keine andere Möglichkeit geblieben, da das Wasser hier schon in sehr geringem Abstand von der Küste so tief wird, daß man keine Boje mehr verankern kann.

So kreiselten wir dann mit den anderen Booten im Bereich des Startschiffes herum, immer auf der Lauer nach einer möglichst günstigen Startposition. Wir schafften es auch nahezu optimal zu liegen. Nicht im allerdichtesten Gedränge, in dem es beim Start auch gleich ein paar leichte Kollisionen gab, aber doch ziemlich weit vorn und vor allem ganz innen am Startschiff, sodaß wir nach unserer Drehung auf SSE-Kurs wirklich gut im Feld lagen. Eine unmittelbar vor uns startende Yacht schaffte es tatsächlich, das Heck des Startschiffes zu touchieren, obwohl dieser aus irgendwelchen Gründen die Maschine voraus laufen ließ und so die dicht am Heck passierenden Yachten mit dem Schraubenwasser etwas wegdrückte. Auch Friedo war ganz aus dem Häuschen über unseren guten Vormwind-Start und somit hatte ich meinen miserablen Start damals in Puerto Sherry wieder ein wenig kompensiert.

Kurze Zeit später rauschte auch schon unser Stagsegel raus, und der von Friedo wohl vorbereitete Fisherman "flog" förmlich nach oben. Wir waren wieder im Regattafieber und rauschten bei außerhalb der Landabdeckung auffrischendem Wind mit gut 8 kn durchs Wasser. Achtern über den Bergen war eine drohende Böenwalze zu sehen, und so entschloß ich mich, den Fisherman nach knapp 10 Minuten schon wieder bergen zu lassen. Kurz darauf ging's auch schon zur Sache, sodaß wir durch das Manöver nur wenig Fahrt verloren.

Eine Yacht hatte unvorsichtigerweise noch in der Landabdeckung den Spinnaker gesetzt und jetzt hatten sie hier etwas weiter draußen alle Mühe das Schiff auf Kurs zu halten. Mal schossen Sie nach Stb mal nach Bb aus dem Ruder und einige Male killte der Spinnaker gefährlich, wenn die Yacht allzuweit aus dem Kurs gelaufen war. Alles in allem verloren sie jetzt durch die Schwierigkeiten mit dem Spinnaker mehr, als sie vorher dadurch gewonnen hatten.

Ralf war in den ersten Stunden wieder einmal seekrank und mußte seine erste Bordmahlzeit nach der Hafenzeit vorwärts und rückwärts essen. Nach ein paar Stunden hatte er sich aber wieder eingewöhnt und unsere Freude an dem guten Segelwind war für die nächste Zeit ungetrübt.

Die folgenden zweieinhalb Tage waren Segeln, wie ich es liebe. Der Wind blies stetig aus Nordöstlicher Richtung und nie schwächer als 5 Bft, in den Spitzenzeiten sogar mit 7. Das war genau das richtige Wetter für unser stabiles Schiff. Auf den letzten 2700 sm hatte ich die Spirit auch ganz gut kennengelernt und wieder viel Vertrauen in sie gefaßt. Mein Schlaf war lange nicht mehr so unruhig wie im englischen Kanal. Wenn es nach Friedo gegangen wäre, hätten wir natürlich immer noch etwas mehr Tuch gefahren, aber mein oberstes Ziel war nach wie vor weniger der Regattasieg, sondern möglichst wenig Verschleiß. Dennoch holten wir auf diesem Törn schon einiges aus der Spirit heraus. Nachdem der Seegang sich einigermaßen aufgebaut hatte, surfte unser stolzes Schiff oft mit gut 11 kn in die Wellentäler. Einige Male nahmen wir schon ganz ordentlich Wasser über. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit auf der ganzen Strecke lag bei ca. 8 kn. Einmal mehr lieferten wir uns unterwegs ein Kopf an Kopf Rennen mit der finnischen Swan-Yacht Aurora, die in der Racing Klasse segelte. Als wir schließlich von achtern auf gleiche Höhe herangekommen waren, ließ der Skipper der Aurora bei Windstärke 6 Vollzeug setzen und zog uns auf diese Weise langsam wieder davon. So verbissen war ich denn doch wieder nicht und ließ ihn des Wegs ziehen. Lobend muß man erwähnen, daß die Aurora trotz dieser enormen Beanspruchung des Materials ohne nennenswerte Schäden in Lanzarote einlief.

Nach 38 Stunden und rund 300 sm liefen wir in Puerto Arrecife auf Lanzarote ein. Etwa eine Viertelstunde vor uns ging die Lindisfarne, die als erste in unserer Klasse einlief über die Ziellinie. Nach berechneter Zeit waren wir immerhin zweite in der Gesamtwertung.

Wir konnten am Ende der Mole an die Pier gehen und lagen hier gar nicht schlecht. Die Lindisfarne ging bei uns längsseits, nachdem sie vorher noch einen Kameraden mit Maschinenschaden in den Hafen eingeschleppt hatte.

In Lanzarote wollten Norbert und Andrea von Bord gehen. Andrea, weil sie wieder arbeiten mußte und Norbert wohl hauptsächlich deshalb, weil er des Zusammenlebens auf so engem Raum insbesondere mit Friedo überdrüssig war.

Kurz nach dem Einlaufen erfuhren wir, daß die Runn unterwegs einen Mastbruch gehabt hatte und nun gleich nach Las Palmas weitergefahren war, wo es die besten Reparaturmöglichkeiten in dieser Region gibt. Es war fraglich, ob die Runn auf der Atlantikstrecke der Regatta schon wieder dabei sein würde.

Der Weg in die Stadt führte an einer Stelle der sehr langen Hafenmole vorbei, an der von dem außen vorgelagerten Felsenriff her in regelmäßigen Abständen Gischt über die Mole gesprüht wurde. Ralfs erster Landgang zusammen mit Angela und Andrea begann deshalb damit, daß er zunächst mit Salzwasser getränkt und gleich danach mit Sand paniert wurde. Diese Behandlung wurde natürlich sofort mit lautstarkem Protest quittiert.

Andrea konnte noch am gleichen Tag ihren Rückflug buchen und verließ uns dann ein wenig schweren Herzens am nächsten Tag.

Wir anderen verbrachten noch zwei Tage auf Lanzarote. Das übliche offizielle Programm für die Skipper sollte diesmal in einem Empfang beim Bürgermeister von Arrecife mit nachfolgender Signierung der Souvenirlogbücher bestehen. Der Zeitplan kam jedoch durch ein Mißverständnis etwas durcheinander. Der Busfahrer fuhr gemäß Planung erstmal zum Nachbarhafen um die Skipper der dort liegenden Yachten abzuholen. Danach ging es wieder zurück in die Stadt, auf der anderen Seite wieder heraus, und dann fuhren und fuhren wir quer über die Insel, vorbei an dem höchsten Vulkan der Insel, bis der Busfahrer mitten in der faszinierenden Vulkanlandschaft stoppte. Wie sich herausstellte stand auf seiner Fahranweisung, daß er mit uns die Inselrundfahrt machen sollte. Diese wäre aber eigentlich erst nach dem Empfang beim Bürgermeister geplant gewesen. Also ging es im Eiltempo wieder zurück in die Stadt und wir kamen mit über einer Stunde Verspätung im Rathaus an.

Da der Busausflug mit Ralf zusammen nicht das Ideale gewesen wäre, hatten Angela und ich uns entschlossen, wieder mit dem Mietwagen die Insel zu erkunden. Da dieser auch schon bereit stand, war die Verzögerung durch die halbe Inselrundfahrt natürlich ein wenig ärgerlich, aber wir hatten auch so noch genug Zeit einen kleinen Eindruck von der Insel zu bekommen.

Die Landschaft auf Lanzarote ist sehr karg und eintönig, aber wahrscheinlich gerade dadurch auch faszinierend. Die Farbe der endlosen Lavagesteinsfelder wechselt sehr stark mit den Lichtverhältnissen, die Gesteinsformen sind enorm vielfältig. Die Landwirtschaft muß hier wegen des ständig über die kahle Fläche wehenden Windes besondere Wege gehen um den Humusboden der Anpflanzungen vor Abtrag zu schützen: Allenthalben sieht man kreisförmig gegrabene Mulden, die von Wällen aus Lavagestein umgeben sind. In diesen "Schutzburgen" wird dann u. a. auch Wein angepflanzt.

Der Bereich mit der urtümlichsten Vulkanlandschaft wurde zum Nationalpark erklärt, und man kommt nur gegen ein nicht unerhebliches Eintrittsgeld hinein. Für einen Ausflug in dieses Gebiet stehen an einer Stelle auch Hunderte von Kamelen bereit.

Zum Abschluß unserer Rundfahrt leisteten wir uns dann noch einen Besuch der "Grünen Grotte" in der wir das Lavagestein sozusagen von innen bewundern konnten. Mit Ralf in der Rückentrage war diese Exkursion zeitweise etwas beschwerlich, wenn ich in den Weg durch die teilweise recht niedrigen Stollen im "hockenden Watschelgang" zurücklegen mußte.

 

Von Lanzarote nach Gran Canaria

Da inzwischen einige Arbeiten am Schiff angefallen waren, die am besten in Las PaImas auf Gran Canaria erledigt werden konnten, wollten wir noch am gleichen Abend auslaufen um uns dann noch einen Tag auf Fuerteventura, der südlichen Nachbarinsel von Lanzarote zu gönnen.

So mußten wir uns nun auch von Norbert verabschieden, der noch unsere Leinen loswarf. Norbert wollte noch ein paar Tage auf Lanzarote bleiben, und dann versuchen, einen möglichst günstigen Rückflug zu bekommen. Allzu lange wollte er aber auch wieder nicht bleiben, nicht zuletzt deshalb, weil er sich bei einem bösen Sturz von einem gemieteten Mountainbike in ein heimtückisches Schlagloch (böse Zungen behaupten, daß der Alkohol dabei nicht völlig unschuldig war) das Knie aufgeschlagen hatte. Da die Wunde beim Arzt vor dem Nähen wohl nicht sehr gründlich gereinigt worden war, wollte Norbert die Sache möglichst bald in Deutschland nochmal nachsehen lassen.

Zum Abschied ließ ich noch einmal das Typhon der Spirit of Bremen ertönen und dann gltten wir mit unserer kleinen Crew ganz langsam in die Nacht hinaus. Wir brauchten es jetzt nicht eilig zu haben, weder eine Regatta, noch ein Termin trieben uns, und so genossen wir einfach das Segeln bei ganz leichtem Wind und sternenklarer Nacht. Gegen Morgen sah ich an StB. gar nicht weit weg einen anscheinend schlafenden Wal. Leider war er, nachdem ich Angela an Deck geholt hatte, schon wieder verschwunden. Wir segelten schließlich dichter unter Land, um uns an der Südspitze von Fuerteventura einen schönen Ankerplatz zu suchen, den wir gegen Mittag bei dem kleinen Örtchen Puertito unmittelbar neben der südlichsten Ecke der Insel auch erreichten.

Das wunderbar klare Wasser lud zum Baden ein und so sprangen wir einfach hinein, wobei ich gleich das Angenehme mit dem Nützlichen verband und das Unterwasserschiff vom Bewuchs freischrubbte. Abends wurde eine Flasche Wein vertilgt, und wir alle waren rundum glücklich.

Da wir keine Eile hatten, blieben wir auch am nächsten Tag bis 15 Uhr hier liegen, wobei ich noch den Ruderlagengeber des Autopiloten neu einjustierte, nachdem wir in den vergangenen Tagen festgestellt hatten, daß der Autopilot wegen der völlig falschen Ruderlagenanzeige nicht mehr korrekt arbeitete. Zum Testen schwenkte Friedo das Ruder dann mit der Bedieneinheit des Autopiloten unter Deck ein paar Mal hin und her, während ich mit dem Kopf über dem Ruderquadranten hing und den Geber justierte. Ich bekam einen Riesenschreck, als Ralf plötzlich in das hinter meinem Rücken hin und her drehende Steuerrad geraten war. Glücklicherweise hatten wir es schnell genug bemerkt und so war nichts weiter passiert.

Schließlich machten wir uns auf den Weg nach Gran Canaria.

Wir gingen unter Segel ankerauf und mußten anschließend erstmal in weitem Bogen um die Südspitze von Fuerteventura segeln. Der weite Bogen war deshalb nötig, weil vor der Südspitze selbst bei diesem ruhigen Wetter noch auf 20 m Wassertiefe deutlich sichtbare Brandung stand, ein Phänomen, das auch in der Karte eingezeichnet ist.

Schon bald wurde am Himmel über Las Palmas de Gran Canaria die nicht abreißende Kette der Positionslichter von Flugzeugen im Landeanflug sichtbar, die den Touristenstrom in dieses Urlauber-Mekka bringen.

Gegen 22 Uhr erreichten wir Las Palmas und machen erstmal an der Treibstoffpier fest, verholten aber kurze Zeit später doch noch an einen freien Platz an der Pier.

Die folgende Liegezeit verging mit einer ganzen Reihe von Wartungsarbeiten und Verbesserungen am Schiff. Friedo kümmerte sich in den nächsten Tagen mit Erfolg um seinen Paß (er hatte noch einen abgelaufenen Reisepaß dabei, den man hier im deutschen Konsulat problemlos verlängerte) und war jeden Abend bis spät in die Nacht unterwegs. Am 3. 11. verließ auch er uns, um über Barcelona, wo er noch ein paar Tage mit einem Freund verbringen wollte, nach Hause zu reisen.

Ich hatte eigentlich jeden Tag irgend etwas zu tun. Die Umlenkblöcke von Großschot und Niederholer hatte ich zum Umbau in eine Werkstatt gegeben: Sie sollten drehbar gelagert werden, da die Blöcke durch das immer wieder erfolgte Verkanten schon etwas aufgebogen waren. In der gleichen Werkstatt ließ ich auch Bolzen für Schnappschäkel drehen, die unterwegs verloren gegangen waren. An Bord wurde gründlich Reinschiff gemacht, wofür ich nach einer Anfrage bei Edgar auch noch einen Industriestaubsauger besorgte. Edgar hatte inzwischen die SSB Anlage wieder klar. Die Spannungsversorgung sollte künftig über eine kleine 12 Volt Batterie erfolgen, die mit einem von Edgar selbst gebauten Wandler geladen werden sollte-. In diesem Zusammenhang passierte Edgar, oder vielmehr einem Batteriehersteller in Amerika ein Malheur, daß die außergewöhnliche Pechsträhne mit unserer SSB Anlage noch um ein interessantes Element verlängerte: Edgar hatte das seltene Glück, für den Test seines neuen Wandlers eine 12 V Batterie zu bekommen, bei der intern versehentlich die Pole vertauscht waren!. So kam es, daß der erste Prototyp von Edgars Wandler sehr schnell rauchend das zeitliche segnete. Die Herstellerfirma der Batterie lieferte jedoch wenigstens schnell eine neue Batterie zum Nulltarif.

Die erforderliche Trockenbatterie, die im Endeffekt benutzt werden sollte konnte ich nach einigem Suchen in Las Palmas besorgen. Nebenbei waren auch wieder Farbarbeiten an Deck angefallen. Die Windmeßelektronik wurde von einem extra für die America 500 Flotte eingeflogenen B&G Team soweit möglich repariert. Jedoch stellte sich heraus, daß bei der Montage der neuen Umlenkrollen für die Genuafallen in Falmouth offensichtlich das Meßkabel im Mast beschädigt worden war, sodaß wir die Windrichtungsanzeige immer noch nicht benutzen können.

Auch der Proviant mußte in diesen Tagen besorgt werden. Die neue Crew mit Edgar sollte schließlich erst zwei Tage vor dem geplanten Start am 15. 11. eintreffen und dann war noch genügend zu tun mit dem Einbau der Funkanlage und der Umwälzpumpe für den Kühlschrank, sowie diversen anderen Dingen, die Egar sich noch vorgenommen hatte.

Die Proviantliste wurde maßgeblich von Angela an Hand der noch vorhandenen Restbestände überarbeitet. Mit Ralf im Buggi hatte sie mittlerweile die Einkaufsmöglichkeiten erkundet und war vor allem von der großen Markthalle mit ihrem vielfältigen Angebot an Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse begeistert. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen mußten wir gemeinsam in den Supermarkt "El Corte Inglès" pilgern, um die gewaltigen Mengen einzukaufen. Glücklicherweise ist es in Las Palmas üblich, daß man die Sachen an der Kasse nur bezahlt und verpacken läßt. Die Ware wird dann später zum Schiff geliefert.

Einige Male gingen Angela und ich abends zum Essen aus. Der kleine Capitano schlief inzwischen,wenn er erst mal in der Koje lag so fest, daß wir uns getrost mal für eine Stunde entfernen konnten.

An einem der Tage sprachen uns zwei Journalisten auf Deutsch an. Wie sich herausstellte waren sie vom bayrischen Rundfunk und würden auf einem großen Motorsegler, der Lady Anja auch mit über den Atlantik fahren. Sie wollten gern ein Interview mit uns machen. Interessant waren wir wohl vor allem durch den jüngsten Segler in der Flotte, unseren "El Capitano", die Journalisten wollten gern etwas mehr über das Leben mit so einem Zwerg an Bord erfahren. Wir verabredeten uns für den Nachmittag, da ich im Augenblick noch ein paar Farbarbeiten abschließen wollte. Irgendwie verpassten wir uns aber am Nachmittag und auch in den folgenden Tagen wurde nichts aus dem Interview. Die Lady Anja war eine ca. 30 m lange behäbige Gaffelketsch aus Stahl, die nach meinem Dafürhalten wohl die meiste Zeit unter Maschine fahren würde, wenn sie mit der Flotte Schritt halten wollte. Sie war gemeinschaftlich vom NDR und vom Bayrischen Rundfunk gechartert worden und extra für diese Reise von der Telekom noch mit einer großen Satcomanlage für Übertragungen ausgerüstet worden. Ich unterhielt mich kurz mit dem Skipper, und wir waren übereinstimmend der Meinung daß die Flotte nach dem Auslaufen wohl so schnell getrennt werden würde, daß für Filmaufnahmen der anderen Schiffe nicht viel Zeit bleiben würde. Aber solange er die Chartergebühr bekam, sollte ihm das egal sein. Die Lady Anja hatte natürlich für ihre etwa 20 Passagiere auch einen bezahlten Smut an Bord.

Inzwischen war auch klar, daß die Runn bis zum geplanten Start nicht mehr fertig werden würde. Das hing hauptsächlich damit zusammen, daß das Schiff praktisch auf einer Überführungsfahrt nach Uruguay war, dessen Regierung das Schiff für die Ausbildung in der Marine gekauft hatte. Die neuen Eigner wollten sich verständlicherweise mit einer in Las Palmas ausgeführten provisorischen Reparatur nicht zufriedengeben. Und bis die HighTec-Materialien, die nötig waren um das zerschlagene Deck ordnungsgemäß wieder zu reparieren hier ankamen dauerte es natürlich seine Zeit. Zudem waren Spezialisten zur Verarbeitung solcher Materialien hier nicht ohne Weiteres zu finden. So ist die Runn dann etwas später unabhängig von der America 500 direkt nach Uruguay gesegelt.

An einem der Tage nahmen wir uns auch noch mal die Zeit, einen Ausflug über die Insel zu machen. Wieder mal waren wir in einem gemieteten Fiat Uno unterwegs und nachdem wir erstmal den Weg aus dem Betondschungel von Las Palmas herausgefunden hatten, wurde es auch richtig schön. Das Herausfinden war freilich nicht ganz einfach, denn das Verkehrsgewühl in Las Palmas hat doch gewisse Ähnlichkeit mit dem von Taipeh, wenngleich das dort herrschende totale Chaos hier noch nicht ganz erreicht wird.

Wir hatten uns kein besonderes Ziel gesetzt. Lediglich irgendwo in die Berge wollten wir fahren und da führte uns unser Weg schließlich auf eine kleine Bergstraße, die freilich immer enger und schlechter wurde, je weiter wir kamen. Ein paarmal setzte der sehr flach gebaute Fiat in den Schlaglöchern auf und wir dachten schon daran umzukehren, aber die nächste Wendemöglichkeit war weit und schließlich wurde die Straße auch wieder besser. Auf dem Rückweg entlang der Küste, kamen wir an den gewaltigen Touristensilos vorbei, die die Urlaubermassen aufnehmen. Was für Kontraste doch auf dieser Insel zu finden sind! Auf der einen Seite Las Palmas mit alldem, was eine Großstadt ausmacht und diese Burgen des Massentourismus und auf der anderen Seite die kleinen Dörfer, die von diesem Tourismus kaum berührt zu sein scheinen.

Bald war nun auch die gemeinsame Reisezeit mit Angela und Ralf zu Ende, Angela hatte einen sehr günstigen Flug für den 11. 11. gebucht. Ich begleitete die beiden noch im Taxi zum weit außerhalb der Stadt gelegenen Flughafen, wobei wir feststellen mußten, daß es billiger gewesen wäre, für den ganzen Tag ein Auto zu mieten, da die Taxitarife für den außerstädtischen Verkehr wesentlich teurer sind, als innerorts. Aber nun war es nicht mehr zu ändern und schon bald hieß es am Flughafen Abschied nehmen. Wir saßen vorher noch eine ganze Weile auf der Flughafenterasse, wo el Capitano immer ganz aufgeregt wurde, wenn er ein startendes Flugzeug sah.

Mit etwas Wehmut und in Gedanken noch ganz bei unserem Abschied fuhr ich mit einem Taxi zurück zum Hafen. An diesem Nachmittag arbeitete ich nicht mehr viel. Ich mußte lediglich noch die ein paar Plätze weiter liegende 65 Fuß Ketsch "Sunrise" auf die Reede verholen. Ein paar Tage vorher hatte ich die Patenschaft für dieses Schiff übernommen, nachdem der Skipper dringend geschäftlich zurück nach Italien mußte. Das Hafenamt hatte darauf bestanden, daß jemand zur Verfügung stehen würde, der das Schiff zu einem Ankerplatz bringt, falls der Platz wider Erwarten doch für die mit Vorrang behandelten Teilnehmer der America 500 benötigt würde. Nun waren die Plätze doch so knapp geworden, daß die Sunrise weichen sollte. Der Ankergrund war nicht gerade gut und so mußte ich mit meiner neuen Crew drei Anläufe fahren, bis der Anker endlich hielt. Danach gab's noch ein Bierchen und ich wurde per Schlauchboot wieder zur Spirit übergesetzt.

A propos Bier: Unsere Biervorräte wurden an diesem Nachmittag auch noch nachgeliefert, nachdem wir am Vortag bemerkt hatten, daß wir die Bierladung bei unserem letzten Einkauf vergessen hatten. Zwar hatten wir schon alles in den Einkaufswagen geladen, hatten jedoch den betreffenden Wagen vergessen, als es darum ging unseren Großeinkauf durch die Kasse zu bringen. So war Angela nochmal allein losgezogen, um die Bierlieferung in die Wege zu leiten.

Am Abend brachte ich noch die bereits gepackten Pakete mit inzwischen überflüssigen Ausrüstungsgegenständen, sowie einem großen Teil von Ralfs Reiseausstattung zur Post. Dabei geriet ich an einen Taxifahrer der erst einen Kollegen fragen mußte, wo denn wohl die Post ist, aber es ging dann doch ohne große Umwege dorthin.

Später ging ich in die gemütliche Hafenbar am Kopfende der Marina und pilgerte dann noch bis spät in die Nacht in der Stadt herum, denn schlafen konnte ich ohnehin noch nicht.

Am Schiff war jetzt eigentlich alles bereit, bis auf die Sachen, die Edgar noch selbst erledigen wollte. So hatte ich zwei Tage Freizeit, mit der ich in dieser Großstadt aber nichts Rechtes mehr anzufangen wußte. Die Liegezeit war mir inzwischen auch schon wieder viel zu lange, und ich freute mich schon auf den Start am 15. November. Wie geplant stand am 13. dann Edgar mit seinem Sohn Thomas auf der Pier. Edgar hatte großes Gepäck mitgebracht: Die SSB-Anlage, ein osmotischer Wasseraufbereiter und ein Sack mit Isoliermaterial als Schamfilschutz für die Wanten waren dabei.

Thomas hatte neben seinen privaten Sachen einen Laptop mit Bobby Schenck's Nav Tools mitgebracht.

Als erstes stellte sich Edgar noch auf der Pier eben als Edgar vor, nachdem wir in unseren bisherigen Gesprächen immer noch bei der förmlichen Anrede mit Sie geblieben waren. Gleich danach fingen wir an, das Gepäck an Deck der Spirit zu hieven.

Wie erwartet brachten die folgenden zwei Tage mit Edgar nochmal Leben ins Schiff, da er sich natürlich wieder viel an Bastelarbeiten vorgenommen hatte. Der größte Posten war der Einbau der SSB-Anlage mit dem neuen Ladegerät und der Pufferbatterie unter dem Kartentisch.

Aber auch auf den meisten anderen Yachten herrschte noch hektische Betriebsamkeit. Auf unserem Nachbarn, der Global Warning, die in der Racing Class mitsegelte, wurden noch alle Fallen erneuert.

Wie sich herausstellte, waren wir für die Atlantiküberquerung nur zu viert, statt zu sechst, wie ich angenommen hatte. Dadurch hatten wir nun mehr als genug Proviant an Bord. Damit hätten wir bei sparsamer Einteilung wahrscheinlich gleich hin und zurück fahren können.

Torsten, Edgars zweiter Sohn kam am folgenden Tag aus Holland. Er hatte einen ganzen Koffer voll mit Sportkleidung von seinem Arbeitgeber NIKE in seinem Gepäck. Für jeden von uns war eine komplette Garnitur bestehend aus T Shirt, Sweatshirt, Trainingsanzug und Sportschuhen dabei. Auch eine große Werbeflagge hatte er mitgebracht, die wir auch gleich setzten. So kam es, daß wir nun auch einen "Sponsor" hatten.

Tatsächlich schaffte Edgar es, die SSB-Anlage betriebsklar zu bekommen und, das sei hier schon verraten, die Anlage sollte uns während der folgenden Reise nicht mehr im Stich lassen.

Das offizielle Programm sah für den Abend vor dem Start noch eine feierliche Flaggenparade und ein Feuerwerk vor. Auch das Skippersbriefing mit letzten Informationen zum Reglement und zur augenblicklichen Wetterlage fand an diesem Tag statt. Das Wetter würde offensichtlich in der nächsten Zeit keinen stabilen Passatwind in diesen Breiten bringen. Es lohnte sich also anscheinend nicht, auf der Suche nach den Passaten einen Umweg nach Süden in Kauf zu nehmen. Im Gegenteil, etwas weiter im Norden war mit mehr Wind zu rechnen. So faßte ich, wie der Skipper der Aurora den Entschluß, einfach auf der Großkreisroute zu segeln.

Jimmy Cornell machte sich in diesem Briefing bei mir und einigen anderen Skippern unbeliebt durch eine etwas eigentümliche Einstellung zur Hilfeleistung auf See: Parallel zu unserer Flotte wollte ein kleiner offener Hobie Cat (ja sie lesen ganz richtig, das sind diese Dinger, mit denen normale Leute ein bißchen vor dem Strand herumsegeln) über den Atlantik segeln. Immerhin waren die beiden Spinner mit dem Gefährt schon von Sevilla bis hier her gekommen. Der Katamaran hieß "United Nations of the World" und dieser Name sollte die Friedensmission, für die die Zweiercrew unterwegs sein wollte, ausdrücken. Auch in meinen Augen war das Vorhaben der beiden natürlich idiotisch und hatte mit guter Seemannschaft nichts mehr zu tun. Aber das was Jimmy diesbezüglich von sich gab, geht in meinen Augen entschieden zu weit: Er forderte alle Skipper auf, diesen "Idioten" im Notfall auf keinen Fall zu helfen. Selbstverständlich wird keiner zur Rettung eines so riskanten Abenteuers sein eigenes Schiff riskieren, aber es kann in meinen Augen nicht angehen, daß man pauschal die Hilfeleistung verweigert, ganz gleich wie idiotisch das Abenteuer auch sein mag.

 

Atlantiküberquerung von Gran Canaria zu den Bahamas

Am Starttag gab es auf der Bühne gleich neben dem Hafen noch eine Ansprache durch die Offiziellen von Las Palmas. Edgar bekam von der Regattaleitung noch eine kleine Palme mit auf den Weg, die wir mit der Spirit of Bremen nach San Salvador bringen und dort pflanzen sollten. Ich war in der Zwischenzeit mit Thomas unterwegs, um in der Markthalle noch Frischproviant einzukaufen. Wieder zurück, lagerte ich die potentiellen Kakerlakenträger wie Bananen, Blumenkohl etc. erstmal eine Zeitlang in Wasser ein, bevor die Vorräte unter Deck wanderten und zum großen Teil in einem großen Netz untergebracht wurden, das ich zu diesem Zweck mitten im Salon aufgehängt hatte.

Um 15 Uhr legten wir ab, um die Treibstofftanks noch einmal voll zu machen, Wasser hatten wir schon an der Pier übernommen. Dann um 17 Uhr ging es endlich wieder los. Auch für mich sollte dies die längste nonstop gesegelte Strecke werden, die ich bisher gesegelt war. Der Start klappte wieder gut, wenngleich wir noch etwas weiter innen am Startschiff hätten sein sollen, um noch weniger Abwinde von den anderen Yachten abzukriegen. Aber was soll's, der Start ist bei 3600 sm sowieso ziemlich ohne Bedeutung. Kurz nach dem Start öffneten wir eine Flasche Sekt, um unseren Aufbruch zu feiern.

Etwas später erfuhren wir über Funk, daß die deutsche Yacht Solveig wegen eines Wassereinbruchs am Stevenrohr wieder umkehren mußte. Beim Anlegen bekam ein Crewmitglied seine Hand so unglücklich zwischen Pier und Schiff, daß der Daumen abgerissen wurde. Nach einem Tauchgang konnte der Daumen aber tatsächlich wieder gefunden und in einer Klinik in Las Palmas wieder angenäht werden.

Wir blieben glücklicherweise von solchen Katastrophen verschont, dennoch klemmte sich Torsten gleich zu Anfang die Hand zwischen Schot und Elektrowinsch, als er unbeabsichtigt mit dem Knie den Schalter betätigte.

Torsten und Thomas waren zunächst erstmal seekrank und ich bemühte mich redlich so schnell wie möglich die so wichtige Routine in unser Bordleben zu bringen. Insbesondere die Verpflegung war da sehr wichtig und so verbrachte ich einige Zeit in der Pantry um unseren Frischproviant zu mehr oder weniger wohlschmeckenden Mahlzeiten zu verarbeiten, die dann nach einigem Zureden auch in geringen Mengen angenommen wurden.

Besonders schlimm hatte es Thomas erwischt, der für die ersten Wachen praktisch ausfiel.

Am nächsten Morgen auf Höhe von Teneriffa verließ uns der Wind, doch über Funk hatten wir von der etwa 15 sm vor uns stehenden großen Yacht Craftsmans Art gehört, daß es bei bei La Gomera mit gut 6 Windstärken blasen sollte und so warteten wir erstmal ab. Irgendwann warfen wir dann zwar doch die Maschine an, aber schon bald danach begann es tatsächlich aufzubrisen.

Das Regatta Reglement sah in Anlehnung an die Route des Columbus einen mindestens einstündigen Zwischenaufenthalt auf der Insel La Gomera vor, wobei die Hälfte der Crew an Land gehen mußte. Wir erreichten La Gomera gegen 10 Uhr, und mußten zu guter letzt noch einmal aufkreuzen mußten, weil der Wind immer mehr schralte. Dicht unter Land wurde es zwar wieder ruhiger, doch es kamen immer noch ganz ordentliche Fallböen von den Bergen. Der Hafen war mit den Teilnehmern der America 500 hoffnungslos überfüllt, aber dennoch fanden auch wir noch eine Lücke, wo wir den Anker fallen lassen konnten. Die Lotsenbarkasse hatte den Versetzdienst zum Land hin übernommen, aber es dauerte ewig, bis sie endlich bei uns vorbei kam, um Edgar und Thomas an Land zu bringen. Die beiden mußten dort zum Einen unser Souvenirlogbuch vom Bürgermeister von Sebastian de la Gomera signieren lassen und zum Anderen unser "Columbusbrot", daß ich noch in Las Palmas bei der Regattaleitung bestellt hatte abholen. Dieses Brot sollte nach alten Rezepten so gebacken sein, daß es mindestens zwei Wochen hält. Nun ja, wir würden Gelegenheit haben, das zu testen.

Schließlich kamen Edgar und Thomas mit den Broten wieder, und wir lichteten den Anker, nachdem wir uns vorher noch von einer anderen Yacht befreien mußten, die bei ihrem Ankeraufmanöver über unsere Kette getrieben war und nun Mühe hatte, ihren Anker wieder frei zu bekommen. Durch den schleppenden Versetzdienst kamen wir allerdings mit über einer Stunde Verpätung wieder los. Weiter ging es also um die Südspitze von La Gomera und dann nach Westen. In der Nacht passierten wir noch die Insel Hierro und dann lag für weit über 3000 sm nur noch freies Wasser vor uns.

Am folgenden Tag schon ging es der Crew inclusive Thomas schon viel besser, und ich war schon jetzt zuversichtlich, daß wir uns auf der Reise gut verstehen würden.

Wie jeden Tag in den folgenden drei Wochen, hörten wir auch heute den sog. "Roll Call" über SSB: Hier meldeten alle America 500 Yachten ihre Position und das augenblickliche Wetter. Zu Anfang bekamen wir heute noch von der Regattaleitung die neuesten Wetterinformationen des Wetterdienstes in Las Palmas. Angeblich hatte sich demnach nun doch ein ausgeprägtes Azorenhoch ausgebildet und es bestand die Möglichkeit von Passatwinden nicht allzu weit im Süden. Die Wetterfrösche empfahlen den Yachten, sich südlich von 24oN zu halten. Aufgrund dieser Information entschloß ich mich nun entgegen der ursprünglichen Planung doch, mit WSW Kurs langsam auf den Breitenparallel 24oN zu gehen.

Während viele Yachten schon jetzt noch weiter südlich standen, blieben die Lindisfarne und die Aurora weiter nördlich. Insbesondere die Aurora schien konsequent an der Großkreisroute festzuhalten, was sich im Endeffekt als die richtige Wahl herausstellte. Im Moment aber war noch alles offen. Ganz im Regattafieber hofften wir, daß unsere nördlichen Konkurenten, die schon jetzt vor uns lagen, weiter im Norden auf Flauten stoßen würden.

So kam es aber dann nicht, vielmehr waren wir es, die bei zu leichten achterlichen Winden immer weiter zurückfielen. Hier machte sich das Schonerrigg ein wenig nachteilig bemerkbar. Unser Blister konnte mangels Höhe des Fockmastes einfach nicht so groß sein, wie die Spinnaker, die viele andere Yachten einsetzen konnten.

Trotz des so gesehen nicht optimalen Regattaverlaufs ließen wir uns aber die Freude am geruhsamen Segeln bei herrlichem Wetter nicht nehmen. Besonders Edgar tat diese Weite und Ruhe hier draußen nach seinem hektischen Alltag als Unternehmer gut.

Der Donnerstag wurde in der Bordroutine zum "Palmentag" gewählt, an dem die uns anvertraute Palme jede Woche einmal gegossen wurde. Sie hatte ihren Platz im Salon, festgezurrt am Großmast gefunden.

Die Tage vergingen auch zwischenmenschlich erstaunlich harmonisch. Ich hatte eigentlich bei einer so langen Reise mit etwas mehr Problemen gerechnet, aber wir verstanden uns die ganze Zeit besser als ich es von manchem Küstentörn kenne, wo man jeden Abend im Hafen ist, und man kann sagen, daß wir auf der Fahrt Freunde geworden sind.

Insbesondere Torsten und ich wechselten in unserer Wache oft die Segel. Aber wir hatten insgesamt einfach zu wenig Wind und jeden Tag blickte ich neidisch auf die Wind- und Positionsmeldungen von Lindisfarne und Aurora, die von stetigen Winden nie schwächer als Bft 4 sprachen. Die Positionen der beiden eilten von Tag zu Tag weiter von uns weg. Aber jetzt noch wieder hochziehen? Nein dazu schien mir die Lage zu unsicher, womöglich bekamen die da oben ja doch noch ihre Flauten.

Größere Probleme als gedacht bereitete das Schamfilen von Schoten und Segeln. Es war erstaunlich, wo überall etwas durchschamfilen kann, wenn man ganze Tage lang mit der selben Segelstellung auf gleichem Kurs dahinsegelt. Beispielsweise schamfilten immer wieder die Tampen der über die Spibäume gelenkten Vorschoten, sodaß wir sie schließlich mit kurzen Schlauchstücken schützten. Da wir in der Regatta möglichst wenig Raum verlieren wollten (und ich zugegebenermaßen auch Spaß am Klettern habe) brachte ich die Schlauchstücke gleich am ausgebrachten Spibaum an. Natürlich hatte ich mich bei diesem Vorhaben angeseilt, trotzdem war es ziemlich anstrengend, sich in der richtigen Position unter der Baumnock, über dem Wasser hängend zu halten. Die Freude an der getanen Arbeit währte jedoch nicht lange, da das angebrachte Schlauchstück bald wieder verrutschte. In regelmäßigen Abständen ging ich auch in den Mast (oder vielmehr ich ließ mich hochziehen) um das Spifall zu überprüfen, wenn wir den Blister längere Zeit ohne Unterbrechung fuhren. Wir hatten oben keinen frei angebrachten Block, sondern eine abgerundete Abweisernase, die das Schamfilen verhindern sollte. Mehrfach war aber das Fall hinter diese Nase gerutscht, wo die Kanten recht scharf sind. Einmal war es denn auch höchste Zeit und wir mußten den Blister dringend bergen und das beinahe durchschamfilte Fall etwas kürzen.

Irgendwann hörten wir während des täglichen Roll Calls, daß die New Chance ihren Spinnaker auf diese Weise "ins Wasser geworfen" hatte.

Am 7. Tag rief uns dann die dänische Yacht Dulcinea über UKW an und bat um ärztlichen Rat wegen einer Blasenentzündung, die ein weibliches Crewmitglied schon seit 7 Tagen plagte. Da die Dulcinea keine SSB Anlage zur Verfügung hatte, führte ich über unser Gerät ein Medico Gespräch nach Deutschland, in dem ich die Symptome so genau wie möglich beschrieb. Leider war in keiner unserer Bordapotheken ein geeigneteres Medikament, als das bereits verabreichte Antibiotikum zu finden, aber der Arzt konnte glücklicherweise dahingehend beruhigen, daß es sich nicht um eine bedrohliche Situation handelte, solange kein Fieber mit im Spiel sei. Ansonsten konnte er nur die üblichen Hausmittel empfehlen: Viel trinken und Bauch warm halten. Nachdem ich die Informationen weiter gegeben hatte, war man offensichtlich auch auf der Dulcinea erstmal beruhigt, trotzdem vereinbarten wir für den Fall, daß noch Fieber auftreten sollte, in Kontakt zu bleiben.

Während ich in der ersten Woche noch selbst die Positionsmeldungen zu Papier brachte, rutschte der Roll Call später durch die Zeitverschiebung in meine Freiwache, sodaß nun Edgar sich als Schreiberling betätigen durfte.

Zum fast täglichen Alltag gehörte auch das Schießen von Sonne, Mond und/oder Sternen, um "unseren GPS Navigator zu kontrollieren". Ab und zu kontrollierte ich dabei auch den Kompaß. Im Gegensatz zu vielen anderen Seglern sehe ich diese altertümliche Navigationsmethode auch im Zeitalter moderner Navigationselektronik nicht als Spielerei an und würde mich sehr unsicher fühlen, wenn ich nicht auch ohne den ganzen elektronischen SchnickSchnack zurechtkäme.

Außerdem wurde geangelt. Ich hatte in Las Palmas noch ohne Edgar vorher zu fragen eine nicht ganz billige Angelausrüstung erstanden und nun mokkierte Edgar sich immer dann über meine teure aber ineffektive Angelausrüstung, wenn wir wieder mal einen Fisch, der gerade gebissen hatte, entweder mit oder ohne Köder verloren hatten. Die Bisse waren lange Zeit so selten, daß diese aufregenden Ereignisse sogar im Logbuch dokumentiert wurden. Die enorme Kraft dieser großen Fische, die man hier draußen an die Angel bekommt war für mich als ehemaliger Süßwasserangler noch völlig ungewohnt. Dabei waren es nicht einmal wirklich große Exemplare, die bei uns anbissen, dafür hätte unsere Ausrüstung auch bei weitem nicht ausgereicht.

Alle paar Tage riefen wir über SSB entweder bei Angela, oder bei Edgars Frau Elfi an, die sich gegenseitig dann jeweils mit den Nachrichten von der Spirit versorgten. Obwohl wir schon näher an den amerikanischen Küstenfunkstellen standen, kamen wir zu Anfang immer noch wesentlich besser nach Norddeich Radio durch und so gingen unsere Telefongespräche zunächst über Kurzwelle ins ferne Deutschland und von dort aus über Satellit wieder nach Amerika.

Einige andere Schiffe hatten Maschinenprobleme, sodaß der Strom an Bord knapp wurde. Auch die New Chance fuhr nach einiger Zeit nachts nur noch mit Petroleumlaterne und mußte mit dem Strom auch beim Senden sparsam sein. -Naja, was die Amis eben sparsam nennen. Eines Abends hörten wir, wie Bill ein in meinen Ohren endlos langes Small Talk Gespräch über UKW abwickelte, wobei er zwischendurch immer wieder mal darauf aufmerksam machte, daß er wegen des Strommangels nun bald Schluß machen müsse.

Zwei Yachten kamen unterwegs für einige Zeit in riesigen Treibnetzen fest, und auch wir sahen irgendwann hier mitten auf dem Atlantik ein Fischereizeichen.

Unter Kuriositäten und besondere Ereignisse muß auch noch der Seenotfall der Salt Dragon eingereiht werden: Eines Morgens hörten wir auf UKW mit, wie die Lindisfarne mit einem Suchflugzeug kommunizierte, das offensichtlich nach einer Yacht suchte, deren Seenotfunkboje aktiviert worden war. Wenig später bestätigte auch ein in der Nähe stehender Frachter diese Meldung. Im Roll Call erfuhren wir dann , daß die Signale der EPIRB als die der Yacht Salt Dragon identifiziert worden waren. Die Situation war völlig unklar, denn etwas später hieß es wieder, daß die Salt Dragon, nachdem sie Hilfestellung von einer nicht näher bekannten norwegischen Yacht erhalten habe, außer Gefahr sei.

Zwei Yachten, die in der Nähe standen, erklärten sich bereit, sich an der Suche zu beteiligen. Wir selbst standen schon recht weit in Lee der letzten Position, und da überhaupt nicht klar war, ob überhaupt noch ein Notfall vorlag, entschloß ich mich weiter zu segeln. Das Schicksal der Salt Dragon blieb in den nächsten Tagen ungewiß. Später jedoch meldete sich die Salt Dragon wieder mit der Nachricht, daß nach Schwierigkeiten mit dem Ruder wieder alles in Ordnung sei.

Mitten auf dem Atlantik feierten wir nach 1800 sm unser Bergfest mit Sekt und Zigarillos (bei den Zigarillos schloß ich mich lieber aus). Wir hatten genau die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Alle waren recht ausgelassen, und obgleich mir selbst der Anlaß dieser kleinen Feier nicht viel bedeutete ("schließlich hatten wir das Ziel ja noch nicht in Sicht"), war es doch eine gute Idee zur Auflockerung unseres Bordalltags.

Über einen sehr mysteriösen nächtlichen ZwischenfallI weiß die Crew der Egg Crate zu berichten: Sie sichteten eines Nachts grüne Signalraketen. Die Egg Crate blieb daraufhin ca. vier Stunden auf Standby, um auf einen Kreuzer der US Coast Guard zu warten, der zufällig in der Nähe der von der Egg Crate gemeldeten Position stand. Beide konnten jedoch bei Tage nichts mehr von einem Havaristen oder sonst wem entdecken, und daß ein Havarist ausgerechnet grüne Raketen schießt, ist auch sehr unwahrscheinlich. So bleibt es im Dunkel, wer da wohl in der Nacht Signale gegeben hat.

Das an der Sache igrendwas dran gewesen sein muß, glaubte ich persönlich erst so richtig, als Edgar einige Tage später in seiner Wache ebenfalls grüne Signalraketen sah. Da von einem Notfall aller Wahrscheinlichkeit nicht auszugehen war, beschloß ich die Sache nicht weiter zu verfolgen.

Insbesondere Torsten wurde bald schon ungeduldig, endlich anzukommen. Für ihn war diese Hochseesegelei, wo wir tagelang nichts anderes als Wasser sahen, einfach zu eintönig. Außerdem hatte er wohl verständliche Sehnsucht nach seiner weit voraus schon wartenden Familie (Die Nullmeiers hatten auf Great Exuma ein Haus gemietet, in dem die Familie ihre "Seebären" schon erwartete).

Am 4. Dezember war unsere Angelei erstmalig von Erfolg gekrönt: Wir fingen in kurzer Zeit gleich zwei Goldmakrelen, die zweite davon immerhin gut einen Meter lang. Nach diversen erfolglosen Vorübungen hatte ich nun den Bogen ganz gut raus und sehr vorsichtig machte ich den Fisch müde. Ein spannender Augenblick war nochmal das An Bord hieven, da wir dafür kein geeignetes Werkzeug hatten. Aber glücklicherweise saß der Haken diesmal gut fest. Das zweite, größere Exemplar biß ganz unerwartet, noch während ich mit dem Ausnehmen des ersten beschäftigt war. Eigentlich hatten wir den Haken nur außenbords geworfen, damit er in der Plicht nicht im Wege ist. Und nun war doch noch eine zweite Goldmakrele auf den Köder hereingefallen, der unmittelbar neben dem Schiff hinterhergeschleppt wurde. Der Kampf mit diesem Ungetüm war noch langwieriger, als der mit dem Ersten und ausgerechnet jetzt mußte es natürlich anfangen in Strömen zu regnen. Als ich das Prachtexemplar schließlich an Bord hatte, war ich klatschnaß.

Beim Ausnehmen schnitt ich dann mit Edgars Filetiermesser statt in den Fisch, tief in meinen Daumen, woraufhin Edgar erstmal die weitere Verarbeitung unserer Beute übernahm. Ich verarztete währenddessen meinen Daumen. Der Schnitt war so tief, daß eine kleine Naht mir angebracht erschien und so konnte ich die diesbezügliche Ausrüstung gleich an mir selbst ausprobieren. Nachdem ich mich selbst wieder zugenäht hatte, war Torsten der Appetit auf Fisch für heute vergangen. So verschoben wir das Festmahl auf den nächsten Tag. An den Fischen war ohnehin soviel dran, daß wir das meiste erstmal einfrieren mußten. In den Folgetagen konnten wir dann ein paar ausgesprochen wohlschmeckende Fischmahlzeiten genießen. Bei der zweiten Mahlzeit stellte sich allerdings heraus, daß Thomas Fisch normalerweise verschmäht. Er hatte bei der ersten Mahlzeit nur dem Smut zuliebe mitgemacht.

Neben dem Erfolg beim Angeln hatten wir an diesem Tag auch einen Mißerfolg: Beim Schiften der Segel rissen wir Edgars zum Trocknen aufgehängte Unterhosen von der Reling. Das sofort eingeleitete "Notmanöver" blieb leider erfolglos, da die Unterhosen schon nach allzu kurzer Zeit in der Tiefe verschwunden waren.

Am vorletzten Tag erwischte uns dann nochmal die totale Flaute, nachdem es schon die vergangenen Tage immer langsamer vorwärts gegangen war.

In diese Flaute fiel auch die nicht ganz ernst gemeinte Funkanfrage eines Skippers an die Regattaleitung in San Salvador, die eines Tages im Roll Call für allgemeine Erheiterung sorgte: "Wir haben einen Notfall an Bord, -die Palme geht ein. Um die Pflanze noch wohlbehalten ans Ziel zu bringen, müssen wir unbedingt unter Maschine laufen und bitten daher um Vergütung der entsprechenden Motorstunden bei der Zeitberechnung!" Obwohl die Bitte abgelehnt werden mußte, sorgte sie doch für Erheiterung bei der Regattaleitung und den Yachties.

Da die Rückflüge von Thomas und Torsten ab Georgetown schon für den 15. 12. gebucht waren und wenigstens noch ein paar Tage gemeinsamer Urlaub mit den dort wartenden Familien bleiben sollten beschlossen wir, auf unseren ausreichenden Dieselvorrat zurückzugreifen. Fast 20 Stunden motorten wir daraufhin. Irgendwann in der letzten Nacht tauchte endlich das weittragende Leuchtfeuer von San Salvador über der Kimm auf. Mein Vorschlag aus diesem Anlaß ein zweites Bergfest zu veranstalten stieß aber bei der sonst auf Bergfeste so versessenen Crew wegen der frühen Stunde auf Ablehnung. Von achtern kam eine Yacht langsam näher, die offensichtlich einen sehr starken Motor hatte. Wie sich herausstellte, war es die Welsh Rover, die uns noch kurz vor dem Ziel überholte. Natürlich war die Welsh Rover nach ihrer Regattaerklärung nachher nur zwei Stunden während der ganzen Reise unter Maschine gelaufen. In Anbetracht der Tatsache, daß wir das Schiff zumindest während der letzten 8 Stunden beim Motoren beobachtet hatten, war das eine ziemlich freche Untertreibung.

Um 8 Uhr morgens am 9. Dezember gingen wir vor Cockburn Town auf San Salvador über die Ziellinie und bald danach fiel unser Anker in das kristallklare Wasser. Etwas über 22 Tage hatten wir für die 3600 sm gebraucht.

Mir war auf dieser Reise endgültig klar geworden, daß dieses Leben auf See viel zu sehr liebe, als daß ich es zu Gunsten eines Lebens zu Hause mit 0815 Job aufgeben möchte.

Als erstes gab es zur Feier unserer glücklichen Ankunft Sekt, und wir sprangen zur Abkühlung in das türkisblaue Wasser. Danach ging's im Dinghi dann samt Palme und Fotoausrüstung an Land. Beim Anlanden bekamen Edgar und Thomas im Heck des Dinghis nasse Hintern, nachdem Torsten und ich durch unser Aussteigen den Trimm unvorteilhaft verändert hatten.

Mit den Pässen und Schiffspapieren bewaffnet wurde ich zunächst zum Zoll gefahren, wo eine gutaussehende Beamtin wartete, um die Formalitäten überraschend schnell zu erledigen. Nach 5 Minuten hatte die Spirit die Erlaubnis, bis zu einem Jahr ohne Einfuhrverzollung in diesen Gewässern zu verbleiben.

Nachdem der von der Regattaleitung organisierte Wagen nicht kam , weil er unterwegs einen Achsbruch hatte (was bei diesen Straßen auch kein Wunder ist) nahmen wir ein Taxi, um zum vorgesehenen Palmenpflanzgebiet zu kommen.

Nach einigem hin und her entschieden wir uns für eines der schon ausgehobenen Löcher und Thomas warf die arme Pflanze in das Loch, das so tief war, daß die Palme nur wenige cm über die Kante ragte. Nun gut, -nobody's perfect, wir haben an diesem Tag bestimmt kein gutes Bild als Gärtner abgegeben. Nachdem wir das Loch dann etwas aufgefüllt hatten, kam die Palme erneut hinein und das Loch wurde ordnungsgemäß zugeschüttet. Man darf gespannt sein, ob dieses winzige Pflänzchen, wirklich zu einer ausgewachsenen Palme werden wird, oder ob sie einfach vertrocknen wird. Die Palme ist jedenfalls ein schöner Anlaß. nochmal herzukommen und nachzusehen.

Bevor wir gleich am Abend wieder ausliefen, gingen wir nochmal in einem edlen Restaurant richtig gut essen.

Gegen 17 Uhr hieß es dann wieder Ankerauf mit Ziel Georgetown auf Great Exuma, wobei zum zweitenmal auf dieser Reise der Kettenabweiser dadurch verbogen wurde, daß sich die Kette zwischen Abweiser und Nuß verkeilt hatte.

Die Nacht war zunächst stockfinster, da eine totale Mondfinsternis uns bis etwa 21 Uhr diese wertvolle nächtliche Lichtquelle verdeckte. Das Einlaufen am nächsten Morgen erforderte Konzentration, da man in der Außenansteuerung dicht an gefährlichen Riffen vorbeikommt. Wenn man aufpaßt, ist es aber halb so schlimm wie es sich im Handbuch liest. Ein paarmal war es aber doch ein ziemlicher Nervenkitzel, weil das zeitweise nur wenig mehr als 3 m tiefe Fahrwasser bei diesem klaren Wasser für meine an die Navigation nach Wasserfarben ungewöhnten Augen viel zu flach aussah.

Mit unserem kleinen Tiefgang von nur 1,45 m bei aufgeholtem Kiel konnten wir problemlos am Steg der Marina von Georgetown anlegen, wo wir gleich Diesel bunkerten. Anschließend verholten wir noch in eine Box und damit war diese Seereise für mich eigentlich gelaufen. Aber natürlich wollte ich noch ein paar Tage Urlaub auf dieser Insel machen, zu der ich immerhin 3½ Monate unterwegs war. Kurz nachdem wir so halbwegs festgemacht hatten, stand Edgars Frau Elfi auf der Pier und dann war erstmal große Begrüßung angesagt. Nachdem das nötigste aufgeklart war, fuhren wir mit dem Auto zu dem Haus, das Edgar für die Familie gemietet hatte.

In den folgenden beiden Nächten übernachtete ich mit im Haus. Erst nachdem Torsten und Thomas mit ihren Familien abgeflogen waren, zogen Edgar, Elfi und ich wieder an Bord und die folgenden Tage bis zum 18. Dezember in denen ich u. a. eine Sightseeing tour per Fahrrad über die Insel unternahm, waren für mich noch ein schöner Ausklang dieser Reise. Great Exuma ist wie alle Inseln der Bahamas sehr flach, die Vegetation ist eher karg. Traumhaft schön ist das Wasser, das so klar ist, wie ich es bisher noch nirgends anders gesehen habe. Die Farbschattierungen der verschiedenen Wassertiefen sind einfach unbeschreiblich schön. Am letzten Abend gingen wir noch einmal richtig gut essen. Anschließend ging es noch einmal in den Pub in der Nähe des Hafens, in dem ich noch bis spät in die Nacht mit anderen Seglern klönte. Über meinen Rückflug am nächsten Tag gab es diesmal nichts Besonderes zu berichten. Lediglich die erste Strecke bis Miami in einer kleinen zweimotorigen Maschine, bei der man dem Piloten noch richtig über die Schulter sehen konnte, war sehr interessant. Diesmal gab es keine Schwierigkeiten mit nichtgestempelten Pässen o. ä. und am folgenden Tag um 13 Uhr landete ich in Bremen, wo ich von Angela und "el Capitano" abgeholt wurde.