Neu: NautLog 1.6 - Logbuch, Navigationsprogramm für seegehende Schiffe, jetzt auch mit integrierter Ausrüstungs- und Mannschaftsliste

pfeil18c.gif (4190 Byte)NautLog 1.6 - Software für seegehende Schiffe/Yachten

Von Antigua nach Palma de Mallorca mit der
Morning Sun

Die nächste größere Reise nach einem Trip von den Bahamas nach Houston war dann für Ende April 1994 geplant. Nachdem ich in der Zwischenzeit mit der Programmierung eines Teilmoduls für eine Kliniksoftware gut beschäftigt war, saß ich 4 Monate später wieder im "Ugatoig", wie unser kleiner Ralf diese großen lauten Vögel nannte, mit denen Papa immer wieder einmal zum "iff" flog. Am frühen Nachmittag landete die Maschine auf dem International Airport von Antigua, wo der große Airbus A340 seinen Umkehrschub voll ausnutzen mußte, um auf der nicht allzu langen Landebahn rechtzeitig zum Stehen zu kommen.

Per Taxi fuhr ich zum "English Harbour", wo ich die Morning Sun, eine Swan 48 auch ohne Schwierigkeiten fand, obwohl das Schiff in diesem Hafen eher als "kleines Bootchen" angesehen werden durfte. Die Hitze machte mir zunächst sehr zu schaffen, immerhin stand die Sonne Mittags nahezu im Zenit, bzw. sogar etwas im Norden. Am Abend war in English Harbour noch große Fete angesagt. Zu diesem Zwecke hatten die Einheimischen direkt hinter dem unglücklicherweise zur Pier liegenden Heck der Morning Sun eine wirklich ansehnliche Batterie von Hochleistungslautsprechern aufgebaut, die von einem eigens hierfür bereit gestellten Zweitaktgenerator mit der nötigen Energie versorgt werden sollten. Mit Einbruch der Dämmerung ging das Spektakel dann los und die fortdauernde nicht nur hör-, sondern auch fühlbare "Bumm-Bumm Musik" machte die Morning Sun bis in die frühen Morgenstunden unbewohnbar. Bei einem weniger soliden Schiff wäre womöglich durch die Druckwellen im niederfrequenten Bereich der Mast umgefallen. So beschränkte sich der Effekt der karibischen Ausgelassenheit auf deutlich spürbare Schwingungen im Brustkorb der geplagten Menschen in der Nähe der "Epizentren". Da ich diesem Aspekt der karibischen Lebensart eher wenig abgewinnen konnte, nutzte ich die Zeit, in der die Morning Sun keinen ruhigen Schlafplatz bieten konnte, für einen Landgang, auf dem ich ganz automatisch darauf achtete, möglichst durch Gebäude von den Druckwellen auf der Pier abgschirmt zu sein. Irgendwann in der Nacht war das Getöse dann endlich vorbei und ich konnte mich schlafen legen, jedenfalls solange, bis Ulf, der vorherige Skipper, zusammen mit seiner Freundin Andrea an Bord kam. Wir nahmen noch einen Drink zu uns, um dann rechtschaffen müde in die Koje zu fallen.

Da Ulfs Gäste noch an Bord waren, legten wir am nächsten Morgen noch einmal zu einem kleinen Segeltön ab, um einen Ankerplatz hinter Green Island zum Baden und Relaxen aufzusuchen.

Abends war natürlich wieder große Fete angesagt, wobei es diesmal richtig Spaß machte, da die "Schallkanonen" nicht mehr eingesetzt wurden. Außerdem war ich selbst an diesem Abend nicht mehr so müde.

Zwei Crewmitglieder für die Atlantiküberquerung waren bereits eingetroffen: Gunnar, der im Rahmen eines halbjährigen "Aussteigertums" schon einen Monat in Venzuela gewesen war, und der nun seine erste große Segelreise auf der Morning Sun mitmachen wollte und Jürgen, der im Vorjahr schon einmal über den "großen Teich" gesegelt war. Um das Schiff in Ruhe aufklaren und übernehmen zu können, schickte ich die beiden jedoch zunächst erst einmal auf Inselrundfahrt, wobei sie auch nach günstigen Einkaufsmöglichkeiten Ausschau halten sollten. Günstige Preise sind auf Antigua jedoch wohl nirgends zu finden. Die Preise sind durchweg der zumeist gut betuchten Kundschaft angepaßt. Wahrscheinlich gibt es während der Antigua Raceweek auch noch kräftige Preisaufschläge, was man den Leuten ja eigentlich auch nicht verdenken kann, wenn Sie den Wohlstand der High Society so geballt vorgeführt bekommen. Zur Verproviantierung für eine Langfahrt ist Antigua jedenfalls denkbar ungeeignet. Aber was sollten wir machen? Wir lagen nun einmal hier, und die Zeit für die Heimreise war knapp bemessen.

Nachdem Ulf und Andrea noch eine Nacht an Bord verbracht hatten, verließen sie mich dann am nächsten Morgen, kurz nachdem auch das vierte und letzte Crewmitglied -Christian aus Berlin- eingetroffen war. Die Crew ging zunächst einmal zum großen Provianteinkauf in den nahegelegenen Supermarkt, während ich noch kleine Reparaturarbeiten erledigte und einige Ausrüstungsgegenstände besorgte.

Als kleines "Späßle" am Rande der Reisevorbereitungen verdient vielleicht der Wiedereinbau der Rollfockanlage Erwähnung, die von Ulf für die Regatta abgebaut worden war. Bei dieser Arbeit gelang es mir tatsächlich zweimal kurz hintereinander, wichtige Einzelteile ins Wasser zu werfen um diese dann mit Taucherbrille bewaffnet wieder heraufzuholen. Schließlich stellten Ulf und ich gemeinsam fest, daß die Anlage ohne Schraubzwinge nicht zusammenzubauen war. Also vertagten wir den Zusammenbau auf später , um zunächst irgendwo eine Schraubzwinge auszuleihen. Als wir dies dann kurz vor der Abreise bewerkstelligt hatten, stellte sich heraus, daß das Fockfall sich bei dieser Anlage schon bei ganz leichter Vorspannung um das Vorstag vertörnte. Also nahm ich die Anlage nach dem Motto "außer Spesen nichts gewesen" wieder außer Betrieb.

Nachdem am Dienstag Vormittag auch die letzten Vorbereitungen incl. Treibstoff bunkern und Wäsche abholen von "Miss Baltimore" (eine äußerst markante Persönlichkeit von sehr kräftiger Statur und mit resolutem Geschäftsgebahren) erledigt waren, ging es gegen Mittag endlich los. Wir legten von der Bunkerpier ab und machten uns anschließend unter Genua 4 und Groß auf unseren langen Weg über die Weite des Atlantiks.

Nach etwa zwei Stunden im Mief der antiguanischen Amtsstuben, die ich geduldig hatte ertragen müssen, um korrekt auszuklarieren, konnte ich die frische Brise, die uns gleich hinter der Hafenausfahrt um die Nase wehte in vollen Zügen genießen. Zwei bis drei Wochen lang würden wir auf uns selbst gestellt sein. Keine Behörde würde uns das Leben schwer machen und kein Mensch würde uns Vorschriften machen, was wir zu tun und zu lassen hätten.

Nach zwei Kreuzschlägen von jeweils etwa einer Stunde Dauer waren wir von der Insel frei und der aus ESE wehende NE-Passat (kein Tippfehler) trieb uns mit flottem Tempo zumindest annähernd in die gewünschte Zielrichtung. Es war einfach wunderbar, bei diesem herrlichen Wetter hoch am Wind zu segeln und die Insel langsam unter der Kimm verschwinden zu sehen.

Die erste Nacht verlief ruhig, Ich hatte die Wachen auf zwei Gruppen verteilt, die jeweils. 6 Stunden gehen sollten. Ich selbst ging die Wache zusammen mit Christian, dem ich insgeheim zunächst etwas skeptisch gegenüber stand, da er sich bei einem Unfall mit einem Gabelstapler vor nicht allzu langer Zeit beide Arme und Beine gebrochen hatte, was sowohl an den Narben, als auch an der Art, wie er sich bewegte noch unschwer zu erkennen war.

Unsere ersten Etmale lagen zwischen 160 u. 170 sm und ließen zumindest hoffen, daß wir unseren Zeitplan einhalten würden. Aber aus Erfahrung wußte ich, daß es natürlich noch viel zu früh war, um Prognosen über die Ankunftszeit zu stellen. Am dritten Seetag ließ der Passat dann, wie zu erwarten war in der Stärke nach, brachte uns jedoch nach einem Wechsel auf die große Genua 2 immer noch mit gut 7 kn weiter nach Nordosten. Die Stimmung an Bord war gut, lediglich bei Christian schien es mir hin u. wieder nötig, etwas nachzuhelfen um auch ihn zu gleichen Teilen an den anfallenden Alltagsarbeiten zu beteiligen.

In der nächsten Nacht schon wurde der Wind unbeständiger und gegen Morgen standen wir auf 24° N und es schien so, als ob wir hier die Passatregion verlassen würden. Tagsüber zwangen uns sehr wechselhafte Winde dann zu einer ganzen Reihe von Segelmanövern. Immer wieder hieß es Segel rauf, Segel runter, und als wir schließlich dachten, nun eine Weile bei gleicher Segelstellung verharren zu können, flaute der Wind wieder soweit ab, daß wir bis spät in die Nacht motoren mußten. Am Morgen des 6. Seetages gab es zum ersten Mal auf dieser Reise frisches Brot, das ich in unserem kleinen Backofen gebacken hatte. Das Schiff machte nach der recht windarmen Nacht wieder gute Fahrt und zwar selbsttätig hoch am Wind. Wenn wir mit der Genua 4 segelten brauchten wir weder einen Rudergänger noch den Autopiloten. Stunde um Stunde zog die Morning Sun ihre Bahn durch die Weiten des Atlantik, denn offensichtlich hatten uns die Ausläufer des Passat-Windes doch noch nicht endgültig verlassen. Leider konnten wir den direkten Kurs zum Zielort Horta nicht anliegen und ich hatte schon Bedenken, daß wir es nicht rechtzeitig schaffen würden. Aber was konnten wir schon tun, außer aus dem Schiff das Optimum herauszuholen und zu hoffen, daß die See uns keinen Strich durch die von außen aufgeprägte Zeitrechnung machen würde.

Das Zusammenleben an Bord klappte weiterhin ganz vorzüglich und es gab bislang keine Spur von Mißstimmung, obwohl Christian ein wenig dem Typ verwöhnter Sohn reicher Eltern entsprach, der z. B. auch bei weitem nicht alles aß, was bei uns auf den den Tisch kam. Ansonsten war schon nach den ersten drei Tagen die nötige Bordroutine eingekehrt, sodaß ich bei dem augenblicklich ruhigen Wetter sogar dazu kam, Fachliteratur über Computer-Technik zu lesen.

Am siebten Seetag stellte sich heraus, daß wir für den Rest der Reise nur noch etwa 100 l Frischwasser in den Tanks haben würden. Äußerste Sparsamkeit war also angesagt. Vermutlich hatte das Frischwasersystem der beiden achteren Tanks irgendwo eine Leckage. Jedenfalls konnte ich mir kaum vorstellen, daß wir zu viert so viel Wasser verbraucht haben sollten. Da wir ansonsten aber ausreichend Getränke u. Mineralwasser mitführten, war die Wasserknappheit in den Tanks glücklicherweise nur eine kleine Unannehmlichkeit.

Etwas mehr Sorgen machte uns in der siebten Nacht schon ein kleiner Wassereinbruch, den wir erst feststellten, als die Bilgen schon ziemlich gefüllt waren. Ich hatte gerade Wache und Christian hatte noch eine Stunde zuvor gepumpt, wobei er jedoch wegen der Krängung nur einen Teil des Wassers außenbords gebracht hatte. Gunnar war es, der dann ob des beunruhigenden Rauschens unter seinem Kopf aufwachte und bei einem Blick in die Bilge feststellen mußte, daß diese soweit gefüllt war, daß die dort gestaute Kiste mit Farben bereits aufschwamm. Sofort stellte ich Gunnar an die Lenzpumpe im Cockpit und startete die Hauptmaschine, um auch bei längerem Betrieb der E-Pumpe oder des Autopiloten keine Stromprobleme zu bekommen. So hätten wir notfalls auch mit der Kühlwasserpumpe noch ein Weilchen weiterpumpen können, falls die Elektrik überflutet worden wäre. Jürgen pumpte derweil unter Deck mit der großen Handpumpe.

Im Augenblick seiner Entdeckung konnte ich die Stärke des Wassereinbruchs natürlich nicht einschätzen. Während ich auf der fieberhaften Suche nach der Leckage ein Bodenbrett nach dem anderen hochriß, sah ich deshalb im Hinterkopf schon Szenen vor mir, in denen Gunnar und Christian die Rettungsinsel klar machten, während Jürgen und ich Proviant Wasser, Hand-Notsender etc. zusammenrafften. Schließlich fand ich aber ein stetiges Rinnsal vom Vorschiff, das mir einen Stein vom Herzen fallen ließ, da der Wasserfluß lange nicht so stark war wie das, was wir pumpen konnten. Die weitere Untersuchung ergab, daß das Wasser aus einer offenen Ketttenkastenentwässerung strömte. Da ich den Schlauch, der hier ursprünglich wohl draufgesteckt hatte, in der Dunkelheit nicht finden konnte, verschloß ich den Durchlaß zunächst mit dem Korken einer eigens hierfür geöffneten Weinflasche. Nachdem die Bilge gelenzt war und wir das Chaos wieder einigermaßen aufgeklart hatten, konnten Gunnar und Jürgen sich noch bis zum Ende ihrer Freiwache hinlegen, und der Rest der Nacht verlief ohne weitere Zwischenfälle.

Relativ stetige ESE-Winde begleiteten uns nach der kurzen Pause bei etwa 24° N noch bis auf 32° N, wo die Winde endgültig wechselhaft wurden, jedoch immer noch mit östlicher Tendenz. An einem ruhigen Abend brachte ich den Wetterfaxempfang per Notebook und selbstgebasteltem Signal-Konverter endlich zum Laufen, und die Prognose sagte für die nächsten 2 Tage leichte östliche und danach nördliche Winde voraus. So weit draußen gibt es eigentlich keine Wetterberichte über Sprechfunk mehr. Alles wird mit Facsimile Sendungen über Kurzwelle oder per Satellit abgewickelt.

Irgendwie genoß ich wieder einmal das wunderbare (und illusorische) Gefühl, unendlich viel Zeit zu haben. Nachdem wir den 30. Breitengrad überquert hatten begegneten uns scharenweise sogenannte Segelquallen, eine Quallenart, die einen Gallertkamm als "Segel" über der Wasserlinie führt. Baden wäre wohl in diesen Gewässern nicht ratsam gewesen, da die Begegnung mit den Nesselfäden dieser Tiere zumindest sehr schmerzhaft sein soll. Später erzählte uns in Horta ein Schweizer Einhandsegler, daß diese Quallen bis zu 10 Grad an den Wind gehen können. Diese Information muß man aber wohl eher als eine Weisheit aus dem zu tief erforschten Bierglas, denn als Tatsachenbericht werten.

Im Großen Ganzen verliefen die Seetage ohne größere Zwischenfälle, und wir alle konnten jene innere Ruhe genießen, die sich auf längeren Segelreisen immer dann einstellt, wenn die Crew harmoniert und das Wetter nicht zu rauh ist.

Ein toter Wal, der zum Himmel stank, lag irgendwann mitten auf dem Ozean genau in unserem Weg und zwang uns zu einem Ausweichmanöver. Wir hatten Funkkontakt mit einem belgischen Frachter, den wir nahebei passierten. Da ich unterwegs festgestellt hatte, daß wir die Karten für die Mittelmeerstrecke entgegen anderslautenden Auskünften von der Yachtschule nun doch nicht an Bord hattten, nutzte ich die Gelegenheit, den sehr hilfsbereiten Kapitän des Frachters zu bitten, eine Nachricht an die Yachtschule zu übermitteln, in der ich darum bat, die Karten einem der nächsten Gäste mitzugeben. Er setzte daraufhin ein entsprechendes Telex an die Yachtschule in Bremen ab. Solch spontane Hilfsbereitschaft auf See ist in unseren heimischen, mit Seglern überfüllten Küstengewässern leider sehr selten geworden.

Tags darauf konnten wir mit dem Spi bei leichtem Nordwind etwas Strecke gutmachen, nachdem wir vorher bei Flaute fast die ganze Nacht motort waren. Gegen Mitternacht war der Spaß dann aber schon wieder vorbei. Die Roßbreiten entsprachen ganz dem Bild, das man sich von ihnen macht. Bei sovielen Motorstunden mußten wir am nächsten Tag das erste (und wie ich hoffte letzte) Mal Diesel von den Reservekanistern in den Tank umfüllen. Natürlich gab es eine Riesen-Sauerei, die Christian und ich allerdings anschließend mit viel Seewasser wieder beseitigen konnten (Soviel zum Thema umweltfreundliche Segelei). Zum ersten Mal auf dieser Reise spielten auch Delphine um uns herum und später sah ich eine Wasserschildkröte. Ein zaghafter Versuch, das Dröhnen der Maschine abstellen zu können und stattdessen mit Spi u. Groß etwas Fahrt aus dem leisen Lüftchen zu zaubern, das inzwischen aus Süden wehte, endete mit einem akrobatischen Akt meinerseits im Masttopp, Nachdem der Spi durch die herrschende Dünung in Verbindung mit einer Unachtsamkeit beim Steuern zur Rollfock geworden war, hing ich nun wie ein Klammeraffe in luftiger Höhe und wurde, während ich den Spinnaker Stück für Stück wieder abwickelte, einige Male selbst ganz um das Vorstag gewirbelt. Dann mußte ich natürlich jedesmal zusehen, daß ich gleich wieder in die andere Richtung zurück wirbelte, denn an einem vielfach vertörnten Fall zu hängen hätte die Angelegenheit für mich natürlich erst richtig lustig gemacht. Die trotz der an sich nur leichten Dünung dort oben recht heftigen Bewegungen verlangten natürlich ziemliche Anstrengung beim Festhalten. Ein Loslassen hätte sicher sehr unangenehme Folgen für mich gehabt. Irgendwann rutschte ich dann auch noch halb aus dem Bootsmannsstuhl und hing einige Zeit nur noch in dem Auge im Fall. Kurzum, es war ein wunderschönes Manöver, und ich war froh, als ich nach erfolgreichem Abschluß der Arbeit wieder sichere Decksplanken unter den Füßen hatte.

Kurze Zeit darauf bargen wir den Spinnaker und motorten, weil einfach zu wenig Wind war, um die Segel zu füllen.

Beim nächsten Mal setzten wir den Spinnaker mit mehr Erfolg, denn er bescherte uns immerhin gute 8 kn Fahrt, bis die Roßbreiten uns gegen Abend mit völlig untypischem Tiefdruckwetter und fortan westlichen Winden um 5 Bft beglückten. Noch während wir den Spi für die Nacht bargen, kam eine Schauerbö quasi als Ankündigung eines grundlegenden Wetterumschwungs rasch näher. Beim Bergen passierte dann noch ein Malheur - der Spi faßte, vermutlich durch einen Fehlgriff ins falsche Liek, noch einmal Wind, und Gunnar wurde von der Spischot, die sich um seine Kniekehle vertörnt hatte, aus dem Niedergang bis an die Seereling gerissen. Glücklicherweise war der Spi bis dahin wieder soweit entlastet, das Gunnar an Bord blieb. An der Schürfwunde an seinem Bein hatte er aber noch für den Rest der Reise mehr oder weniger "Freude". Die Pein wurde jedoch mit dem besten Etmal dieser Reise belohnt, denn wir machten auch in der Nacht unter G4 und Groß reichlich Fahrt, sodaß die Berechnung am nächsten Tag satte 200 sm in 24 h ergab.

In den folgenden Tagen regnete es zeitweise in Strömen und nachts wurde es richtig kühl. Endlich umspielten uns auch Delphine und noch einmal sah ich eine große Wasserschildkröte.

Nach 15 Seetagen tauchte schließlich an einem Tag mit ansonsten gleichmäßiger Stratusbewölkung eine große Cumuluswolke auf, die eigentlich nur von einer hohen Landmasse herrühren konnte. Tatsächlich hatte unser GPS also nicht gelogen und bei einem Abstand von etwa 10 sm war auch die Insel selbst bald zu sehen. Daß an diesem Morgen der Kaffee, den ich gerade aufgesetzt hatte, irgendwo hinter dem Herd landete, drückte meine ansonsten hervoragende Stimmung kurzzeitig auf einen Tiefpunkt, dafür klappte es aber anschließend mit den frischen Brötchen, die wir auf diesem Reiseabschnitt nun zum letzten Mal genossen. Gegen Mittag hatten wir es dann geschafft und lagen an der Reception Pier von Horta längsseits an einem Maxiracer, neben dem unsere Swan 48 wie ein Beiboot wirkte. Gleich beim Einlaufen fiel uns ein gekenterter Trawler auf, der mit Ketten an der Pier festgemacht war. Wie wir später hörten, hatte man diesen nach Ausbruch eines Feuers absichtlich versenkt, um ein Ausbreiten der Flammen zu verhindern. Das Einklarieren in portugiesische Gewässer verlief in der mir nun schon bekannten Weise und war wieder ausgesprochen zeitraubend. Aber diesmal hatte ich ja keinerlei Eile und so amüsierte mich das Prozedere einfach nur.

Nachdem wir zum Liegeplatz in der recht vollen Marina verholt hatten, gab's erst einmal einen Schluck Wein zur Feier des Tages. Danach begannen wir mit der unliebsamen Arbeit des Aufklarens. In den folgenden Tagen hatte auch ich etwas Zeit, die Insel kennen zu lernen und war einfach begeistert. Die Abende verbrachten wir größtenteils in der urgemütlichen Kneipe "Café Sport", wo auch der Rest der "Langfahrt Seglergemeinde" ein und aus ging. Sie sind schon muntere Gesellen, diese Wandervögel zur See. Immer wieder trifft man interessante Menschen. Der Smalltalk zum Kennenlernen läuft fast immer gleich ab: Woher kommt Ihr, wohin fahrt Ihr, wie war die Reise. Man findet schnell Freunde, und die Hilfsbereitschaft untereinander ist einfach großartig. Christian schien nach der Seereise einen abrupten Wandel vom halbwegs selbständigen Crewmitglied zum kleinen Jungen durchgemacht zu haben. Bei jeder Kleinigkeit wurde gefragt "wie geht dies, wann wird jenes gemacht". Seine Beteiligung an den alltäglichen Arbeiten schrumpfte von Hafentag zu Hafentag. Es war fast, als wenn er nach einer viel zu anstrengenden Reise abgeschlafft wäre. Am 22. Mai machte Christian sich auf den Heimweg, während Gunnar, Jürgen und ich noch ein zwei Tage in Horta verbringen konnten, bevor die "Neuen" erwartet wurden. Die Tage und vor allem die Abende im urgemütlichen Café Sport vergingen für meine Begriffe viel zu schnell. Jeden Abend lernte man neue interessante Leute aus diesem eigenwilligen und liebenswürdigen Seglervölkchen kennen. Da war z. B. Susan, die auf einer 77 Fuß Jongert als Köchin fuhr oder Sabine, die auf einem Seelenverkäüfer Jugendliche als Pädagogin betreute. Sabine's Schoner war eigentlich eine Ketsch gewesen, aber die Stenge vom vorderen Mast war bei rel. leichtem Wind in der Karibik von oben gekommen. Das sagt eigentlich schon alles über den maroden Zustand dieses Schiffes. Der Skipper hatte sich nach durchzechter Nacht in der Karibik bei einem Sturz vom Deck in die Kajüte das Schlüsselbein gebrochen und so war der noch sehr junge Steuermann zum Captain avanciert. An Deck lief auch ein Schwein herum, auf dessen Stoffwechselprodukten die Crew beim nächtlichen Wachwechsel wohl schon des öfteren ausgerutscht war. Kurzum bei Sabine an Bord schien alles ziemlich chaotisch zu sein und so wunderte es mich auch nicht, daß ein bereits fest geplanter Abreisetermin wegen Maschinenschadens noch einmal auf unbestimmte Zeit verschoben werden mußte. Der Maschinist des Schiffes saß darauf hin an Deck und trank die n-te Flasche Bier an diesem Tage, wahrscheinlich um den Frust "weg zu trinken".

Jedenfalls sollten wir schließlich doch noch vor der Flensburger Ketsch ablegen. Den Namen des Schiffes habe ich mir leider nicht gemerkt, das Schiff, das bei uns an Bord nur "der Seelenverkäufer" hieß und seine Crew werde ich aber so schnell nicht vergessen.

Inzwischen war es bei uns soweit, daß der erste Neue auf der Pier stand: Helmut, 64 Jahre alt und dem ersten Eindruck nach ein ziemlich schwieriger Zeitgenosse (Marke Nörgelphilipp und Besserwisser). Am nächsten Tag war auch der Rest der Crew an Bord und nach einer Schiffseinweisung, einem abendlichen Mahl im Restaurant und einigen letzten Einkäufen stand unserer Abreise eigentlich nichts mehr im Wege.

Am Dienstag dem 24. 5. 94 führte uns ein NW Wind Stärke 4 zunächst erfreulich rasch Richtung Osten und obwohl der Wind während der Nacht für einige Stunden ganz abgeflaut war, standen wir schon am Abend des folgenden Tages auf Höhe der Insel Sao Miguel, .

Irgendwie hatte ich mit der neuen Crew von Anfang an ein ungutes Gefühl, Ich war mir sicher, daß das Zusammenleben rasch schwierig werden würde, sobald irgend welche Probleme auftauchten. Zudem hatte ich ich insgeheim Zweifel, ob ich bei der Bemessung der Proviant- und Dieselvorräte die zu erwartenden Flauten hinreichend berücksichtigt hatte. Ich hatte so eine Ahnung, daß dies eine jener Reisen werden würde, auf denen ich diesen Job weniger lieben würde.

Bereits am Abend des zweiten Seetages schlief der Wind schon wieder ein und natürlich war Helmut der erste, der nach der Maschine rief. Ich beschloß noch eine halbe Stunde zu warten, um dann ggf. weiteren Diesel zu opfern. Dies war aber dann doch nicht nötig, weil der Wind schon nach 10 min auffrischte, sodaß wir sogar von der Gn2 auf die Gn4 wechseln mußten. Das Schiff lief daraufhin während der ganzen Nacht mit erfreulichen 8 kn Fahrt in Richtung Gibraltar. Offensichtlich hatten wir nun doch ein mir ganz willkommenes Tief erwischt, das uns diesen SW-Wind und gegen Morgen auch Regen brachte. Letzterer hätte natürlich nicht sein müssen, aber ich nahm ihn gerne in Kauf. (böse Zungen behaupten, daß dies auch daran lag, das ich durch die größere Crew nun wachfrei war und selbst nicht mehr nächtens am Ruder stehen mußte).

Die Region um die Azoren zeigte sich uns als sehr lebendiges Meer,- Immer wieder waren Wale, Delphine und auch Wasserschildkröten zu bewundern.

Nachdem wir am vierten Seetag etwa die Hälfte der Strecke zwischen den Azoren und der Strasse von Gibraltar zurückgelegt hatten, "platzte" uns der Spinnaker, was mir natürlich außerordentliche Freude machte. Wir hatten das Ding bei wirklich leichten Winden auf Raumschotskurs gesetzt, später hatte es dann auf etwa 3 Bft aufgebrist, wobei der scheinbare Wind immer noch höchstens 10 kn in Böen war. Das Material muß also wohl schon ein wenig rott gewesen sein. Wie dem auch sei, die Blase riß in Sekundenfrist quer durch und ging während des Bergens dann nochmal ein paar Meter am Liek entlang auf. Dabei hatten wir gerade so schöne 8 kn drauf gehabt! Nun war es mit dem Spinnakern also vorbei. Der Eigner würde sich bei der Übergabe sicher sehr über zwei kaputte Spinnaker freuen, dachte ich so bei mir (der erste war noch während der Antigua Race Week bei Ulf aus den Lieken geflogen). Vermutlich weil mir meine "Begeisterung" über diesen nicht mehr ganz kleinen Schaden deutlich anzumerken war, kam Harald, der Hand gegen Koje mitsegelte, bald auf die Idee, mir anzubieten, das ganze als seinen Steuerfehler hinzustellen und dann über seine Sportversicherung abzurechnen. Nach einigen Tagen willigte ich dann auch in diesen Vorschlag ein und stand damit natürlich dem Eigner gegenüber wesentlich besser da. Nur die Versicherung durfte nichts vom wirklichen Hergang wissen.

Am Samstag dem 28. Mai erhielten wir dann Besuch von einem portugiesischen Kriegsschiff, das auf der Suche nach einem Havaristen war, der in unserem Bereich per Notfunkboje einen Notruf abgesetzt hatte. Da der Notruf offensichtlich sehr vage gewesen war (Name des Havaristen und Art der Notlage waren unbekannt), entschloß ich mich, unsere Reise fortzusetzen und lediglich auf unserem Weg scharf Ausschau zu halten. Auch der Kommandant des Kriegsschiffes war der Meinung, daß wir mit unserem kleinen Schiffchen in der vorliegenden Situation nicht mehr tun bräuchten.

Am selben Abend trafen wir das deutsche Containerschiff Maria Rickmers, dessen Kapitän sich entschlossen hatte, seine Reise nach Rotterdam zu unterbrechen, um ebenfalls nach dem Havaristen zu suchen. Die Maria Rickmers war gut 4 Stunden zurückgefahren und stieß nun auf der systematischen nächtlichen Suche nach einem in Not befindlichen Fahrzeug auf unser Radarecho. Die anfängliche Vermutung, daß es sich bei uns evtl. um den Havaristen handelte, konnte ich gleich per UKW Funk aus der Welt räumen. Gleichzeitig teilte ich dem Kapitän der Maria Rickmers mit, daß wir den ganzen Nachmittag auf unserem östlichen Kurs nichts außergewöhnliches gefunden hatten. Da die Seenotrettungszentrale von Sao Miguel auf die wiederholten Anfragen der Maria Rickmers nach weiteren Informationen zu dem Notruf nicht mehr antwortete, brach der Kapitän die Suche schließlich ab, ohne das man eine Spur von einem havarierten Schiff gefunden hatte.

Der Kapitän des Containerschiffs verabschiedete sich von uns mit dem Wunsch für eine gute Reise, den ich erwiderte. Gleichzeitig hatte er mir netterweise noch ungefragt den neuesten Wetterbericht gegeben, der aber leider weiterhin nur schwache Winde verhieß. Die Winde waren tatsächlich auch wieder extrem flau geworden, sodaß wir unter Maschine durch ein Flautenloch nach dem anderen fahren mußten. Zu allem Überdruß kam der sehr leichte Wind im Laufe des nächsten Tages auch noch von vorne!

Schließlich zeichnete sich doch ab, daß wir nach Gibraltar einlaufen mußten, um vor allem Frischwasser, aber auch Diesel (ich erwartete im Mittelmeer eher noch weniger Wind als hier draußen) und etwas Proviant zu bunkern.

Für Helmut grenzte es schon an ein Sakrileg, daß ich eines Tages gezwungenermaßen anordnete, das Geschirr ab sofort auschließlich mit Seewasser abzuspülen. Aber so hatte er wenigstens wieder etwas zu meckern. Helmut gehörte nämlich zu jenen Menschen, die gar nicht zufrieden sein können, wenn sie nicht mit irgend etwas unzufrieden sind. Am Mittwoch, dem 1. Juni liefen wir nachmittags in die Bucht von Gibraltar ein. Der Hafenmeister, bei dem ich mich über Funk anmeldete, war sehr hilfsbereit und lotste mich per VHF zum richtigen Platz im Hafen, wo wir zunächst ganz offiziell einklarieren mußten. Wie überall auf der Welt sind die Briten auch hier überaus korrekt. So wollten Sie z. B. ein Dokument sehen, das mich als vom Eigner beauftragten Skipper auswies. Ein solches hatte ich nun aber leider nicht an Bord. Schließlich glaubten die Beamten mir aber doch, daß ich das Schiff nicht gestohlen hatte und sahen glücklicherweise davon ab, uns bis zum Eintreffen einer entsprechenden Vollmacht an die Kette zu legen. Anschließend gingen zwei Crewmitglieder los, um Milch und andere Dinge einzukaufen, die inzwischen knapp geworden waren. Schon nach zwei Stunden war unsere Versorgungslage wieder in Ordnung und wir konnten (und mußten wegen der knappen Zeit) zur letzten Etappe Richtung Palma de Mallorca ablegen.

In der ersten Nacht ging es noch recht flott voran, und wir liefen mit ausgebaumter G4 im "Schmetterlingsstil" für einige Stunden im Schnitt sogar 10 kn. Schließlich wurde mir das ganze u. a. auch wegen des sehr dichten Schiffsverkehrs aber zu riskant, und wir bargen das Großsegel und nahmen den Spibaum weg. Anschließend ging es immer noch mit gut 7 kn nur unter G4 weiter. Am Nachmittag des nächsten Tages verließen wir das sog. "Alboranmeer". Das Mittelmeer entsprach in diesem Bereich leider voll und ganz seinem Ruf, und brachte uns mehr oder weniger lang anhaltende Flauten, die mich zwangen, die Maschine ausgiebig zu Hilfe zu nehmen, um den Zeitplan einhalten zu können. Es war wieder wie verhext mit dem Wind, und ich war froh, in Gibraltar auch den Dieseltank gefüllt zu haben.

Am 4. Juni gegen Morgen erschien dann die Insel Fomentera am Horizont, und der Wind verließ uns nach einem kurzen Zwischenspiel schließlich ganz und gar. Dafür gab es jede Menge Schildkröten und auch kleine Wale zu sehen. Da es der letzte Tag war, begann ich schon einmal, den üblichen Papierkram und die Endabrechnung vorzubereiten, da die Mehrzahl der Crew es anscheinend sehr eilig hatte, im Bestimmungshafen von Bord zu kommen.

Der Übergabetag wurde noch einmal recht anstrengend, da ich zwischen unserem Eintreffen um 3 Uhr Ortszeit und dem morgendlichen Aufstehen um 7 Uhr natürlich recht wenig Schlaf bekam. Gegen ein zusätzliches Entgelt hatte ich auch die Endreinigung übernommen und war damit den ganzen Sonntag ganz gut beschäftigt, bis am Abend der Eigner, Herr Francke an Bord kam. Trotzdem war es ein schöner Tag, geprägt von dem immer wieder angenehmen Gefühl, eine lange Seereise mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht zu haben. Mehrere Male mußten wir verholen, um endlich einen geeigneten Liegeplatz zu finden, an dem der Eigner sein Schiff auch finden würde. Da kam es mir ganz gelegen, daß Gunnar und Jürgen noch an Bord geblieben waren, um bei den Manövern zu helfen. Gunnar war allerdings nicht ganz einsatzfähig, da die beiden in der Nacht vorher noch eine ausgiebige Entdeckungsreise durch das Nachtleben von Palma gemacht hatten, wobei Gunnars letztes Bier (oder war es doch das letzte Glas Rum?) wohl schlecht gewesen sein mußte. Bei unserem letzten Verholmanöver lag Gunnar wie tot auf dem Vordeck und merkte von der ganzen Sache absolut nichts, was er durch seine später gestellte Frage "Seid Ihr hier her gepaddelt?" zum Ausdruck brachte.

Abends kam dann der Eigner an Bord, den ich mir nach diversen Erzählungen aus der Yachtschule ganz anders vorgestellt hatte. Wider Erwarten wirkte er auf den ersten Blick recht sympathisch.

Wir gingen alle zusammen noch einmal essen, wobei der Eigner uns einlud.

Am Montag Morgen verholten wir dann schon wieder, diesmal in die Yachtwerft, um das Schiff aus dem Wasser zu nehmen, da eine neue Propellerwelle eingebaut werden sollte. Den Tag verbrachten Herr Francke und ich mit den verschiedensten Bastelarbeiten.

Ich bekam schließlich sein Ok, mich am Dienstag nach einem Flug umzusehen, was ich nach einer durchzechten Nacht in Palma auch tat. Ich bekam auch noch am selben Tag einen Direktflug nach Bremen. Für Angela etwas überraschend, rief ich am Nachmittag von Bremen aus an und teilte mit, das ich nun wieder da wäre. Sie holte mich dann zusammen mit unserem kleinen "El Capitano" vom Flughafen ab, und ich hatte bis zur nächsten Reise, einem Rund Skagen Törn, noch 10 Tage "Landurlaub" vor mir.